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Archäologie der Moderne – warum gräbt die Archäologie an historischen Orten wie dem NS-Zwangsarbeiterlager des Rammelsberges?

Klassisch werden die meisten mit dem Begriff Archäologie an Pinsel, Indiana Jones und das Entdecken von Schätzen aus längst vergangenen Zeiten denken. Tatsächlich sind Pinsel ein gängiges Werkzeug auf einer Ausgrabung, während die Filmfigur Indiana Jones dem Archäologenberuf viel Aufmerksamkeit beschert hat. Und wenn auch das mit den ‚Schätzen‘ unterschiedlich zu verstehen ist, sind  längst vergangene Zeiten tatsächlich das „Kerngeschäft“ der Archäologie. Denn als einzige Wissenschaft hat sie spezielle Methoden entwickelt mit deren Hilfe sie aus materiellen Hinterlassenschaften der Menschen im Boden historische Ereignisse herauslesen kann. Dies ist besonders wertvoll für Zeiträume, in denen es keine oder nur sehr spärliche schriftliche Überlieferungen gibt. Doch was für ältere Zeiten gilt, funktioniert ebenso für die jüngste Geschichte.

Überblick über die Grabungsschnitte, Grafik Georg Drechsler

Auch wenn es überraschend klingen mag, spielt die Archäologie gerade für die Erforschung der NS-Zeit eine immer größer werdende Rolle. Denn die archäologischen Untersuchungen in ehemaligen Konzentrationslagern, auf Erschießungsplätzen oder an Orten der NS-Zwangsarbeit fördern viele wichtige Details – im wahrsten Sinne des Wortes – zu tage, die in der schriftlichen Überlieferung fehlen. Sie stellen eine wichtige Ergänzung zu den Arbeiten der historischen Wissenschaften und dienen gleichzeitig auch der ‚Beweissicherung‘ an Orten der ‚Täter‘. 

Das vor einem Jahr durch die Friede Springer Stiftung bewilligte Forschungsprojekt zur NS-Zwangsarbeit am Erzbergwerk Rammelsberg verfolgt eben diesen interdisziplinären Ansatz. Während die Geschichtswissenschaften sich ausführlich mit den überlieferten Akten beschäftigen, wurden von Seiten der Archäologie am Standort des ehemaligen Männerlagers vor dem Herzberger Teich Ausgrabungen durchgeführt. Dem vorausgegangen waren geophysikalische Untersuchungen und Begehungen mit einer Sonde durch die ehrenamtlichen, zertifizierten Sondengänger des Landkreises Goslar. Beide nicht invasiven Methoden dienten der Eingrenzung der zu öffnenden Flächen, denn die überlieferten Pläne aus der Bauzeit der Baracken waren in sich widersprüchlich, so dass unter anderem für die Wasch- und Abortbaracke viele bauliche Fragen unbeantwortet blieben. Eine davon war die nach ihrer eigentlichen Ausdehnung. Methodisch sollte nur so wenig wie möglich und so viel wie nötig ausgegraben werden, um neben einer Forschungsreserve für die nachfolgenden Generationen vor allem die erhaltene Reste zu schützen.

Blick auf das Streifenfundament im Westen, Foto Katharina Malek-Custodis

So wurden auf der gesamten Fläche 9 Schnitte angelegt, die unter anderem zum Ziel die Erfassung der Ausdehnung, der inneren Struktur und das Verifizieren der Anzahl der Baracken sowie die Klärung der verwendeten Baumaterialen hatten. Als ersten Schritt der Erdarbeiten erfolgte der Humusabzug mit Hilfe eines Baggers, bei dem ein unterschiedlich mächtiger Einplanierungshorizont und direkt darunter die ersten Befunde in Form von Bodenplatten und Mauerzügen zum Vorschein kamen. Die Untersuchungen wurden dann in Rahmen kurzer Kampagnen mit Schülerinnen und Schülern der Adolf-Grimme Gesamtschule, mit jungen Erwachsenen im Rahmen eines internationalen IJGD-Workcamps und mit Studierenden der Leibniz Universität Hannover durchgeführt. Dabei mussten die Schnitte besonders im Bereich der Wasch- und Abortbaracke nach allen Seiten etwas vergrößert werden, um die Gebäudeecken tatsächlich zu erfassen. Interessant war dabei das verwendete Baumaterial: Während im östlichen Bereich Ziegeln für die Außenmauern verwendet wurden, waren die Streifenfundamente im westlichen Bereich aus Presssteinen gesetzt, welche aus industriellen Abfallmaterial hergestellt wurden. Welchen Grund dies hat und ob möglicherweise die Ziegelmauer aus der Nachnutzungszeit der 50er Jahre stammt, ist zurzeit Gegenstand der Auswertung. Dies gilt auch für die weiteren festgestellten Befunde wie die beiden gefliesten Bereiche, die verschiedenen Ab- und Wasserleitungen, unterschiedliche Standspuren, Reste von Zwischenwänden usw. Eine besondere Herausforderung ist dabei das Herausarbeiten der verschiedenen Zeitphasen während der NS-Zeit und der Nutzung als Flüchtlingslager während der 50er Jahre. Dies gilt ebenfalls für die angetroffenen Funde, die einer eindeutigen Zuordnung bedürfen, nachdem sie gereinigt und beschriftet worden sind. 

Erste Ergebnisse der historischen und archäologischen Auswertung werden im Frühjahr im Rahmen einer Sonntagsmattinee vorgestellt. Für die Zeit des Winters werden die Ausgrabungsflächen mit Geotextil abgedeckt, um sie vor Witterungseinflüssen zu schützen.          

Autor: Dr. K. Malek-Custotis

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