UNESCO Logo

Das Projekt „Räume der Unterdrückung. Neue geschichtswissenschaftliche und archäologische Forschungen zu Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen am Erzbergwerk Rammelsberg“ – Die geschichtswissenschaftliche Perspektive

Das von der Friede-Springer-Stiftung geförderte Kooperationsprojekt des Weltkulturerbes Rammelsberg und der Arbeitsstelle Montanarchäologie des Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege ist fächerübergreifend (interdisziplinär) angelegt. In diesem Forschungsprojekt arbeiten Archäolog:innen und Historiker eng zusammen.

In diesem Projekt konzentrieren sich die Historiker, stärker als es in bisherigen Untersuchungen zur Zwangsarbeit am Erzbergwerk Rammelsberg der Fall war, auf die historischen Quellen, die von den „Tätern“, also von den Personen verfasst wurden, die die Zwangsarbeiter:innen vor Ort bewacht, zur Arbeit gezwungen und ihr Leben kontrolliert haben. Insbesondere spielen räumliche Dimensionen eine wichtige Rolle. Der Raum, wie das ehemalige Zwangsarbeiterlager unterhalb der Staumauer des Herzberger Teichs, war nicht nur eine Hülle zum Wohnen, sondern hier fand für einige Jahre das Leben der Zwangsarbeiter:innen statt. Ein Forschungsansatz, der nach raumbezogenen Erfahrungen, Wahrnehmungen des Raumes und Vorstellungen, ja nach Sehnsüchten der Menschen in den Lagern fragt und die damit verbundenen Handlungsstrategien der Täter und der Opfer betrachtet, kann am authentischen Ort Antworten auf Fragen zum Zusammenhang von Raum, Organisation und Unterdrückung suchen.

Dieser Forschungsansatz braucht die enge Verzahnung von Geschichtswissenschaft und Archäologie. Von der Geschichtswissenschaft sollen Akten zur Zwangsarbeit am Erzbergwerk Rammelsberg im Hinblick auf den Aufbau von organisatorischen, räumlichen und verwaltungstechnischen Strukturen zur Eingliederung der Zwangsarbeit in den laufenden Bergwerksbetrieb ausgewertet werden. Auch die Bewertung des ökonomischen Nutzens der Zwangsarbeit in verschiedenen wirtschaftlichen Zusammenhängen der vorbereitenden Aufrüstung und ab 1939 der Kriegswirtschaft ist bisher wenig erforscht und wird daher genauer betrachtet. Die wirtschaftliche Effizienz der Zwangsarbeit in den 1940er Jahren ist auf Reichsebene zuletzt in einer großen historischen Studie zur Geschichte des Reichswirtschaftsministeriums untersucht worden. Detailstudien zur Wirtschaftlichkeit der Zwangsarbeit im Bergbau liegen aus dem Steinkohlenbergbau vor. Zum Erzbergbau fehlen solche Studien noch weitgehend. Die Wirtschaftlichkeit der Zwangsarbeit bestimmte die Repressalien der Betriebsleitung gegenüber den Opfern ganz erheblich. Konnte die Betriebsleitung einen wirtschaftlich effizienten Einsatz der Zwangsarbeiter:innen berechnen, wurden Zwangsmaßnahmen anders ausgelegt oder Lebens- und Arbeitsbedingungen anders gestaltet.

Aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive ergeben sich deshalb eine Vielzahl an Untersuchungsfragen, von denen hier nur wenige benannt werden sollen: Wieviel Raum stand den Zwangsarbeiter:innen in den verschiedenen Lagern zur Verfügung und wie ist die Größe des Raumes als Unterdrückungsmittel zu bewerten? Die eigene Unterdrückung kostete Geld, denn Zwangsarbeiter:innen zahlten Miete für die Lagerunterkunft. Wie funktionierte die ökonomische Ausbeutung der Zwangsarbeiter:innen über die Ausbeutung durch Arbeit hinaus? Orientierte sich das Erzbergwerk Rammelsberg bei der Behandlung der Zwangsarbeiter:innen an den Vorgaben der nationalsozialistisch-rassistischen Lagerhierarchie oder nutzte es durchaus vorhandene Spielräume? Konnten Konflikte zwischen den Zwangsarbeiter:innen, die aus verschiedenen Ländern kamen, durch die Aufteilung in getrennte Räume vermieden werden? War die Entlohnung und Verpflegung einheitlich, die medizinische Versorgung vergleichbar? Gab es eine Hierarchie unter den Zwangsarbeiter:innen? Wie beschreiben ehemalige Zwangsarbeiter:innen die Räume der Unterdrückung? Gab es unterschiedliche Barackentypen mit unterschiedlichen Ausstattungen? Wer baute die Baracken und wer lieferte das Material für den Bau? Wurden Normbaracken verwendet oder gab es individuelle Anpassungen an den Standorten?  Wie passten sich die Baracken in das architektonische Gesamtbild der Bergwerksanlage ein? Gab es Korrekturen durch die Architekten der Bergwerksanlage, Fritz Schupp und Martin Kremmer?

Die Liste der Fragen ist lang, nicht alle werden die Historiker und Archäolog:innen beantworten können. Aktuelle Ergebnisse aus diesem Forschungsprojekt werden auf unserer und der Homepage der Arbeitsstelle für Montanarchäologie unter https://altbergbau3d.de veröffentlicht.

Abb.: Am ehemaligen Standort der Zwangsarbeiterbaracke neben dem Inspektionshaus an der Straße Bergtal (heute Wohnhaus und Restaurant) sollte 1956 ein Speisesaal für die Mitarbeiter des Erzbergwerks gebaut werden. Es blieb bei Planskizzen, angefertigt von Fritz Schupp, der in den 1930/40er Jahren mit Martin Kremmer die gesamten Tagesanlagen des Bergwerks neugestaltet hatte.
Quelle: Montanhistorisches Dokumentationszentrum des Deutschen Bergbaumuseums in Bochum, Bestand BBA-223-2132 Speisehalle.

Verwandte Beiträge:

  • Keine verwandten Beiträge vorhanden.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

*