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„Bis jetzt war alles Spaß …“- Einblicke in die Lehrlingsausbildung am Erzbergwerk Rammelsberg im Zweiten Weltkrieg

Zwischen Fach- und Reichskunde – NS-Berufsausbildung nach 1933

Unter der Parole von der „Überwindung des Ungelernten“ stand der gelernte Facharbeiter nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten zunächst eindeutig im Rampenlicht der beruflichen Bildungsarbeit des Regimes. Robert Ley, Chef der Deutschen Arbeitsfront (DAF), machte die Erziehung der Lehrlinge zu einer der wichtigsten Aufgaben seiner Organisation. Er formulierte 1934 seine Ansprüche an die Berufsausbildung so: „Der Deutsche ist als Kuli zu schade, als Facharbeiter erobert er sich die Welt.“[1]

Die DAF forderte eine Auslese der Berufsanfänger nach körperlicher, rassischer, beruflicher und weltanschaulicher Eignung. Die Ausbildung der Lehrlinge sollte Teil einer Arbeitererziehung sein, die „von der Frucht im Mutterleib bis zur Einsegnung der Leiche“ reicht.[2]

Die Berufsausbildung bot gute Chancen, um Jugendliche auf die Politik des NS-Regimes einzuschwören. Insbesondere die Verbindung der Berufsausbildung mit einer militärischen Erziehung wurde von Carl Arnhold, dem führenden NS-Ideologen in Sachen Lehrlingsausbildung gefordert. Für Arnhold sollte die Geschlossenheit der Lehrwerkstatt als Ersatz für ein militärisches „Lager“ dienen, in dem die „Lehrkameradschaft“ als Übung für die spätere Kameradschaft im Feld geübt werden konnte. Eine starke „Führerhand“ sollte in der Lehrwerkstatt die Berufserziehungsarbeit steuern, und in den Lehrkameradschaften war der paramilitärische Erziehungsanspruch einzulösen.[3] 

Ein solcher Berufsausbildungsansatz passte aber nicht zum möglichst schnellen Einsatz vieler junger Arbeitskräfte in der Industrieproduktion. Denn die deutsche Wirtschaft wurde seit 1934 gezielt auf die Aufrüstung der Wehrmacht ausgerichtet. Dazu brauchte sie neben modernisierten Produktionsverfahren gut ausgebildete Facharbeiter in großer Anzahl in möglichst kurzer Zeit, weil insbesondere nach 1938 ein expliziter Fachkräftemangel in vielen Bereichen der deutschen Industrie herrschte.

Unternehmen und Wirtschaftsverbände drängten deshalb auf eine weitgehend fachliche orientierte Berufsausbildung, die von der Industrie im Laufe der 1930/40er Jahre in Ausbildungs- und Prüfungsordnungen gegossen wurde. Eine Berufserziehung im Sinne der NS-Ideologie musste angesichts insbesondere rüstungswirtschaftlicher Belange zurückgesteckt werden.

Der Konflikt zwischen der ideologischen und der fachlichen Lehrlingsausbildung ist auch am Erzbergwerk Rammelsberg in den 1930er Jahren zu spüren. Und obwohl der ideologische Einfluss auf die Lehrlingsausbildung mit Beginn des Zweiten Weltkriegs schnell an Einfluss verlor, blieb insbesondere die körperliche Disziplinierung der Lehrlinge als vormilitärisches Training erhalten. Tagebucheintragungen des Rammelsberger Berglehrlings Helmut Luft, der im Zweiten Weltkrieg eine Ausbildung zum Bergknappen am Rammelsberg gemacht hat, bestätigen dieses auf eindrucksvolle Weise.

Fakten zur Organisation der Berufsausbildung am Rammelsberg 1938 – 1945

Erst 1934 begann für junge Männer am Erzbergwerk Rammelsberg eine offiziell anerkannte Lehrlingsausbildung, die mit der Knappenprüfung endete. Die Aufsicht über die Lehrlingsausbildung lag beim Oberbergamt.

Ausbildungssteiger Johann Schwinn und Meisterhauer Erich Mauri waren ab 1934 für die Lehrlingsausbildung zuständig. 1942 wurde Schwinn zu einem Auslandseinsatz im jugoslawischen Erzbergbau eingesetzt. Heinrich Buchterkirchen wurde neuer Ausbildungssteiger. Nachdem Buchterkirchen noch kurz vor Kriegsende eingezogen wurde, übernahm Willi Marks diese Aufgabe.[4]

1938 konnten 25 Bergjungleute (Lehrlinge) angeworben werden. Davon waren 14 Schlesier und nur 11 kamen aus Goslar und Umgebung. Von den schlesischen Bergjungleuten haben sechs nach kurzer Zeit ihre Ausbildung abgebrochen. Trotz intensiver Werbemaßnahmen mit Werksbesichtigungen und Elternabende blieb das Interesse der jungen Leute an den Beruf des Bergmanns gering.[5] In den Folgejahren sanken die Lehrlingszahlen am Rammelsberg weiter ab. Andere Industriebranchen und auch die Wehrmacht übten bei den 15 bis16jährigen Schulabgängern einen größeren Anreiz aus, als die schwere und dreckige Arbeit des Bergmanns.  

Nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs sank die Zahl 1940 auf nur 12 neu eingestellte Lehrlinge für den Bergmannsberuf, so dass der Bedarf von 30 Lehrlingen bei weitem nicht gedeckt werden konnte.

Mit der offiziellen Anerkennung des Bergmanns als Facharbeiter wurde das Ausbildungswesen neu geordnet. Die bisherigen Bergjungleute hießen jetzt Berglehrlinge, mit denen ein reichseinheitlicher Lehrvertrag abgeschlossen wurde. Den neuen vom Reichswirtschaftsministerium herausgegebenen Richtlinien entsprechend wurden im Interesse des Ansehens des Lehrberufes „Knappe“ nur solche Volksschüler als Berglehrlinge eingestellt, die das Ziel der 7. oder 8. Schulklasse erreicht haben. Volksschüler aus den übrigen Klassen und Hilfsschüler konnten künftig nur als jugendliche Hilfsarbeiter eingestellt werden.

Die Leitung der Ausbildung sowie der Hauptunterricht in der Berufsschule, die am Erzbergwerk Rammelsberg eingerichtet war, lag ab 1942 in den Händen von Ausbildungssteiger Heinrich Buchterkirchen. DAF-Betriebsobmann Bertram übernahm mit Zustimmung des Oberbergamtes den Unterricht in Reichskunde. Den Unterricht in Arbeitskunde und Werkstoffkunde übernahm Maschinenwerkmeister Graupner.

Am 1. Mai 1942 erhielt das Erzbergwerk Rammelsberg das Leistungsabzeichen in Bronze von der DAF für vorbildliche Berufserziehung.

1943 waren die Nachwuchszahlen weiter rückläufig. Es konnten nur drei Berglehrlinge, ein Betriebsschlosserlehrling sowie ein Bergvermessungslehrling eingestellt werden. Der Bedarf von mindestens 30 Jungen wurde bei weitem nicht gedeckt.

Wegen der schlechten Nachwuchslage wurden1943 auch Hilfsschüler als jugendliche Hilfsarbeiter eingestellt. Wegen der Einziehungstermine zur Wehrmacht wurde die Ausbildung der Berglehrlinge am Erzbergwerk Rammelsberg in den letzten Kriegsjahren von 36 auf 30 Monate verkürzt.[6] 

Aus dem Tagebuch eines Rammelsberger Berglehrlings

Helmut Luft beginnt seine Lehrzeit als Berglehrling am Erzbergwerk Rammelsberg am 1. April 1942.[7] „Es fing nun der Ernst des Lebens an, bis jetzt war alles Spaß. Nach dem ich in der Stadt keine Lehrstelle mehr bekommen habe, habe ich in der Lehrwerkstadt am Rammelsberg angefangen. Es hieß, du kannst später immer noch in der Schlosserei anfangen. Aber mir war es sowieso egal. Ich wollte ja schon immer zum Militär. Die 3 Jahre würde ich auch noch rumkriegen.   

Nach Anfrage ob im zum April am Erzbergwerk Rammelsberg anfangen könnte, bekam ich nach einigen Tagen Bescheid. Ich sollte um 6 Uhr am 1. April am Werk sein. Als ich um 6 Uhr in der Vorhalle ankam, waren schon einige Lehrlinge da. Wir wurden zur Lehrwerkstatt abgeholt. Dort begrüßte uns Herr Mauri, das war unser Ausbilder, dann war da noch Herr Rennenberg der war Vorarbeiter und für Schlosser und Schmiedearbeiten zuständig. Am 1. Tag sollten wir erstmals alles kennen lernen. Wir waren gleich 10 Lehrlinge. (…)

In der Werkstatt waren noch 12 Lehrlinge aus dem 2. Lehrjahr. In der Werkstatt stand eine große Bohrmaschine, und eine starke Schere, zum Eisen abschneiden. Eine Esse und zwei Ambosse waren auch vorhanden. An der Fensterseite standen vier Hobelbänke. Die Werkbank war so mit acht Schraubstöcken besetzt. Unter der Werkbank waren etwa 20 Schubkästen, da war unser Werkzeug drin. Jeder Lehrling hatte ein Schubkasten mit Schloss. Jeder hatte sein Werkzeug, Hammer, Zange, Meißel, Feilen, Winkel, Dorn, Körner, Eisensägen und mehr. (…)

Abb. 1: Blick in die Lehrwerkstatt am Erzbergwerk Rammelsberg,1930er Jahre.
Foto: Sammlung Weltkulturerbe Rammelsberg.

Dann wurde uns unser Frühstücksraum gezeigt. Der Raum war oben im Turm, über der Lehrwerkstatt. (Die Lehrwerkstatt befand sich neben der Kraftzentrale. Der Frühstücksraum war im Turm der Kraftzentrale. J.G.) Da bekam jeder sein Spind. In den Spind kamen Seife, Handtuch und Zahnputzsachen. Im Raum waren zwei Handwaschbecken und eine Dusche. Immer wer Stubendienst hatte, musste den Raum sauber halten. Anschließend gingen wir alle in die Jugendkaue, (…) dort wurde unser Werkzeug und Arbeitszeug aufgehängt.

In unserer Kaue waren 20 Duschen, eine eiskalte. Dann bekam jeder seine Kontrollnummer, ich hatte die Nr. 942. Die Marke war zur Anwesenheitskontrolle.

Zum Schluss wurde uns unser Schulraum gezeigt. Dort begrüßte uns unser Ausbildungssteiger. Es war Herr Buchterkirchen, er war für den Ausbildungsablauf verantwortlich.[8] Buchterkirchen war auch unser Berufsschullehrer. Der Schulraum lag über dem Magazin, wir konnten von hier auf die Rammelsbergerstraße schauen. Über unseren Fenstern stand in großen Buchstaben `Wir kapitulieren nie.´

Wir bekamen noch ein Käppi für die Arbeit. Dann gab es noch einen dunklen Kittel mit schwarzen Kragen und Käppi. Alles mit roten Bisen (Einsatz an Nähten, J.G.) dran. Kittel und Käppi konnten wir mit nach Haus nehmen. Wir durften die Sachen nur am Schultag anziehen. Für die anderen Tage sollten wir Turnhose und Turnschuhe mitbringen.

Abb. 2: Berglehrlinge vor einem Mundloch der Tagesförderstrecke mit Kleidung, die am Schultag getragen wurde, 1930er Jahre. Foto: Sammlung Weltkulturerbe Rammelsberg, Nachlass Günter Schwinn.

Ja und am anderen Tag ging es richtig los, was jetzt kommt spielte sich dann 3 Jahre lang ab.

Wenn wir morgens hoch kamen legten wir unser Turnzeug in die Kaue, am besten im Duschraum, da war es schön warm im Winter. Um 5.45 Uhr rief derjenige, der Stubendienst hatte: `Alles raustreten zum Frühsport´. Wir mussten dann in der Vorhalle Gymnastik machen. Liegestütze, Kniebeugen, Rumpfbeugen, Knie hoch, eben alles was es so gab. Mal mussten wir auf den Hof, auch mal morgens um den Herzberger Teich einen Dauerlauf machen. Oder bis zum Hainholz. Es lag immer am Wetter. Auch kurz in den Herzberger Teich ohne Turnhose. Erich Mauri hatte einen Schlüssel, und um 6 Uhr waren auch noch keine Leute da. Der Sport war immer mit freiem Oberkörper. Nach dem Frühsport wurde kurz kalt geduscht. Dann anziehen und hoch in den Frühstücksraum um die Zähne zu putzen. Nach dem Antreten in der Werkstatt, wurde kurz eingeteilt und jeder ging dahin wo er für den Monat eingeteilt war. Jeder musste immer ein Monat in der Werkstadt Schlosserarbeit oder Zimmermannsarbeit machen. Manche Lehrlinge mussten auch in die Aufbereitung, Magazin, Holzplatz u.s.w. Im zweiten Lehrjahr ging es dann halbtäglich in den Lehrstollen, aber soweit waren wir Neuen noch nicht. Wir mussten erst mal klein anfangen. Holz scheiden mit der Handsäge, Metallwürfel feilen. Alles mit Winkel und ganz genau. Nach ein paar Wochen durften auch wir uns beteiligen an der Herstellung für Sachen die in der Grube gebraucht wurden (…) Klammerhaken, Klotzklammer- und Fahrtenhespen, auch die Spitzhämmer schmieden und härten, Fäustel ausbrennen und wieder anstielen. Im Winter machte das Schmieden Spaß, aber im Sommer wenn es draußen heiß war, war es nicht angenehm.

Abb. 3: Berglehrlinge in Knappenuniform vor der Lehrwerkstatt des Erzbergwerks Rammelsberg.

Rechts mit Schirmmütze Meisterhauer Erich Mauri, 1930er Jahre. Foto: Sammlung Weltkulturerbe Rammelsberg. Nachlass Günter Schwinn.

Nach 3 Monaten Probezeit bekamen wir unseren Lehrvertrag. Im Vertrag stand folgendes:

  1. Lehrjahr  55 RM. – Arbeit über Tage.
  2. Lehrjahr  65 RM. –  Halbes Jahr unter Tage.
  3. Lehrjahr  95 RM. – Das Ganze Jahr unter Tage. 1 Tag wöchentlich Berufsschule. Pro Jahr 18 Tage Urlaub.

Das war alles sehr gut gegenüber anderen Berufen.

Abb. 4: Am Ende der Lehrzeit wurde der Knappenbrief ausgestellt. Knappenbrief des Berglehrlings Helmut Luft. Sammlung Weltkulturerbe Rammelsberg. Nachlass Helmut Luft.

„Aber jetzt (…) zum zweiten Lehrjahr: Wir mussten nun jeden zweiten Monat, immer einen halben Tag unter Tage arbeiten. Immer nach dem Frühsport bis 9 Uhr, dann draußen Frühstück. (…)  Wir hatten für die Arbeit extra einen Lehrstollen, in der Bergeschachtstrecke. Unser Ausbildungshauer waren Herr Hermann Ahrens. Wir mussten da Bohren lernen, mit einer Bohrsäule. Später unter Tage habe ich nie mit so einer Maschine gebohrt. Es gab schon viel modernere Maschinen. Wir mussten auch die Löcher mit Sprengstoff laden, und durften auch mit Zündmaschine die Schüsse abtun. Dann mussten wir den Haufen in die Wagen laden. Wenn der Ort blank war, wurde wieder gebohrt. Wir lernten wie die Löcher richtig angesetzt wurden. (…) Auch Gleis und Schwellen mussten wir lernen zu legen. Wenn wir wieder so 5 bis 6 Meter weiter waren, wurde auch Luft und Wasserleitung nachgelegt. Wo das Gebirge nicht ganz sicher war, mussten wir `Deutschen Türstock´ oder Eisenbögen einziehen. Alle Arbeiten die unter Tage anfielen, mussten wir hier lernen. Bloß langsamer als später. Wir waren ja noch Lehrlinge, und ein Jugendschutzgesetz gab es damals auch schon. Uns Jungens gefiel die Arbeit, und etwas Abenteuer war auch dabei.

Abb. 5: Ausbildungssteiger Johann Schwinn (rechts mit Schirmmütze und Krawatte) und
Meisterhauer Erich Mauri (links daneben, ebenfalls mit Schirmmütze) mit Berglehrlingen, die ihre Lehre 1934 begonnen hatten, auf der Werkstraße des Erzbergwerks Rammelsberges. Foto: Sammlung Weltkulturerbe Rammelsberg. Nachlass Günter Schwinn.

Der Luftkrieg wurde auch immer schlimmer, überall mussten Luftschutzkeller gebaut werden, auch in Goslar. In Goslar gab es schon folgende Keller: Felsenkeller, Wilhelmshöhe, am Schieferweg, am Wall ganz nah am Bismarkdenkmal, dann am Köppelsbleek, und am Petersberg. Um diese Luftschutzkeller aufzufahren, musste das Erzbergwerk Rammelsberg Rammelsberg immer ein paar Leute abstellen. Als letzter wurde der Tiefe-Julius-Fortunatus-Stollen dafür ausgebaut. (…) Beim Ausbau des Stollen zum Luftschutzkeller mussten von uns auch immer drei Lehrlinge runter und mithelfen. Nach dem Frühsport holten wir uns noch Werkzeug, Nagel oder Klotzklammern, gingen immer zu Fuß. Übergabe Holzplatz, Hainholz, Blauer Haufen,  zum Stollen und dann zur Ludwig-Jahnstraße. Dort war der Landschacht, der ist heute noch. Dort war ein Holzhaus mit Haspel zum Drehen, wie früher im Bergbau, hier wurde alles Material runter gehängt.

Unten im Stollen waren zwei Bergleute, die machten dicht über dem Wasser Löcher in die Mauer. Da kamen dann Schienen rein. Und darüber kamen dann Bohlen. Unsere Aufgabe war, immer für Nachschub zu sorgen. Das Material lag oben am Häuschen, es wurde nach Bedarf vom Erzbergwerk Rammelsberg rangefahren. (…) Die Arbeit hat uns sehr gefallen, es war mal was anderes. Unten im Stollen kamen an beiden Seiten Bänke. Eine Wendeltreppe wurde auch eingebaut. Gefrühstückt haben wir auch immer unten auf den Bänken.

Abb. 6: Ausbildungssteiger Johann Schwinn mit Lehrlingen, die ihre Lehre 1935 begonnen hatten, bei einem Ausflug nach Thale.

Aber Berufsschule hatten wir auch. Im ersten Jahr hatten wir immer am Montag Schule. (…)  Den ersten Schultag werde ich nie vergessen. Nach Frühsport gingen wir mit unseren neuen Kitteln zum Schulraum rüber. Nach ein paar Minuten ging die Tür auf und ein Mann mit einer Parteiuniform trat ein. Also wieder ein richtiger Goldfasan. Er sagte: `Mein Name ist Bertram. Ich bin hier am Werk der erste Betriebsratsvorsitzende.[9] Ich mache bei euch die erste Stunde immer Reichskunde.´ Ja und die Stunde sah dann immer so aus: Geschichte der Partei. Oder etwas von Gesetzen. Nürnberger-Gesetze, Ermächtigungsgesetz, Blut und Rassen-Gesetz und natürlich der Vertrag von Versailles. Das wurde immer wieder durch genommen. Immer hatte Bertram das Buch `Mein Kampf´ von Adolf Hitler im Unterricht dabei. Er war ein 110% – Nazi. In der Zweiten Stunde hatten wir immer unseren Ausbildungssteiger Herrn Buchterkirchen. Bergbaukunde und Geologie, war dann dran. Bergbau am Erzbergwerk Rammelsberg und im Harz. Abbauarten früher und heute. Die ganzen Abbaumethoden und Sicherungen wurden durchgenommen. In der dritten Stunde wurde Raumlehre unterrichtet. Da hatten einige von uns noch Mängel. Ich kam aber damit klar. Die vierte Stunde wurde von einem Steiger aus der Schlosserei Maschinenkunde unterrichtet.

Die fünfte Stunde war immer Sport. Immer nach Wetter. Bei guten Wetter wurde ein Waldlauf um den Herzberger Teich angesetzt. Oder 100m-Lauf mit Stoppuhr im Hainholz. Da war eine Bahn mit Sand angelegt. Bei schlechten Wetter blieben wir immer im Schulraum. Dort waren dicke Matten, auch ein Pauschenpferd hatten wir. Wir konnten springen üben. Auch Hechtsprung über 3 bis 5 Mann wurde geübt. Auch Boxhandschuhe waren vorhanden. Von uns waren damals ein paar Jungen im Boxring 38 Goslar. Die mussten immer zusammen antreten, es floss jedes Mal Blut. Meisterhauer Erich Mauri musste die Jungen dann immer trennen.

Um 12 Uhr war die Schule dann immer aus. Wir gingen dann zur Küche wo der andere Jahrgang schon da war. Das Mittagessen war immer sehr gut. Es gab gute Suppen, auch Gemüsesuppen. Es gab auch Kartoffeln mit Fleisch oder Klopse. Nachtisch Pudding oder Obst. Es kostete damals 50 Pf. Wir hatten alle eine Wochenkarte. Aber das wichtigste von allen, wir brauchten keine Lebensmittelkarten abgeben. Für uns Schüler war dann Feierabend, wir konnten nach Haus gehen.

Die eine Stunde die uns vom Schultag fehlte, mussten wir am Donnerstag von 16.00 bis 17.00 Uhr in der Badehalle am Stoben nach holen. Es waren immer 3 Jahrgänge da, wir waren immer 20 Lehrlinge. Ein Drittel von uns konnte nicht schwimmen, ich auch nicht. Wer Nichtschwimmer (war), konnte ins kleine Becken bis zur Kette. Da mussten wir tauchen üben, und von der Treppe Hechtsprung üben. Nach Wochen – mussten wir alle, vom 1 Meter Brett ins große Becken springen. Das hat mir nie gefallen. Immer wenn wir nach der Stange fassten, zog Herr Mauri die Stange wieder fort. Und man schluckte Wasser. Immer einen Tag vor der Schwimmstunde, hatte ich Durchfall vor Angst. Es waren aber noch einige von uns, die Schiss hatten. Zwei sagten eines Tages, sie hätten ihre Badehosen vergessen. Da sagte Herr Mauri, alle Badehosen ausziehen, da wurde eben nackt gebadet. Es hat nie wieder einer die Hose vergessen.

Zwei Lehrlinge die fehlten immer, die bekamen am anderen Tag ein Schild um den Hals, und mussten in der Fensterbank bis Feierabend stehen. Auf den Schild stand: „Ich bin wasserscheu“. Aber es nütze alles nichts, die beiden haben manchen Tag im Fenster gestanden. Die Arbeiter die durchkamen lachten. Ich habe mir gesagt, die Blöße, die gibt’s du dir nie ! Lieber ersaufen ! Wir sind immer wenn das Wetter gut war zum Herzer gegangen. Wir übten mit Korkenring oder Schwimmbüchse. Zum Herbst konnte ich dann endlich schwimmen.“[10]


[1] Zitiert in: Johannes Großewinkelmann: Zwischen Werk- und Schulbank. Duales System und regionale Berufsausbildung in der Solinger Metallindustrie 1869 – 1945, Essen 2004, S. 218.

[2] Zitiert in: Ebda., S. 204.

[3] Vgl. Martin Kipp,u.a.: Erkundungen im Halbdunkel. 15 Studien zur Berufserziehung und Pädagogik im nationalsozialistischen Deutschland, Kassel 1990, S. 34.

[4] Vgl. Peter Eichhorn, Der Röderstollen. Denkmalpflege und Besucherführungen in der Zeit vor der Museumsgründung, Goslar 2010, S. 48f.

[5] Vgl. BGG-Archiv, Goslar. Akte 64/7: Jahresberichte 1938 – 1948. Jahresbericht 1938, S. 27.

[6] Vgl. BGG-Archiv, Goslar. Akte 64/7: Jahresberichte 1938 – 1948.

[7] Aus Gründen der Anpassung an aktuelle Lesegewohnheiten wurden einige stilistische und grammatische Veränderungen an den Auszügen aus dem Tagebuch vorgenommen. Die eingefügten Fotos sind im Tagebuch nicht vorhanden. Sie wurden zu einem Teil für diesen Text aus dem Nachlass des ehemaligen Ausbildungssteiger Johann Schwinn eingefügt. Ich danke seinem Sohn Günter Schwinn und seiner Frau für die freundliche Überlassung. 

[8] Vgl. Nachlass Buchterkirchen in Sammlung des WERBG

[9] Hier verwechselt Helmut Luft offensichtlich die Begrifflichkeiten. Betriebsräte gab es nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten und der Zerschlagung der Gewerkschaften im Mai 1933 nicht mehr. Herr Bertram war Vertrauensmann der Deutschen Arbeitsfront (DAF) am Erzbergwerk Rammelsberg.

[10] Die Textauszüge sind aus den Tagebüchern „Mein Lebenslauf“, H. 1, von Helmut Luft. Sammlung Weltkulturerbe Rammelsberg. Nachlass Helmut Luft. Ich danke Herrn Dieter Luft ganz herzlich, dass er die Tagebücher seines Vaters zur Verfügung gestellt hat.  

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