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Behelfskaue – Gefängnis – Zwangsarbeiterlager: Eine Gebäudebiografie des Schreckens. Teil 1: 1937 – 1941.

Unter dem Motto Gebäude-Geschicht(e)n sollen in loser Folge die Geschichten und die Geschichte von Orten und Räumen auf dem Gelände des Weltkulturerbes Rammelsberg beschrieben werden. Dabei wird der Ort nicht lediglich als eine Geländefläche und der Raum nicht nur als Hülle angesehen. Ort und Raum sind von einer Ordnung bestimmt, die sich mehrfach ändert. Gefragt wird nach dem Wandel örtlicher und räumlicher Ordnungen, nach der betrieblich bedingten Produktion von Raum und danach, wie Orte und Räume soziales Handeln verursacht und verändert haben. Es geht also auch um die Wahrnehmung von Orten und Räumen mit Blick auf die Wirkung des Wandels auf Menschen, die hier arbeiteten und lebten.  

1937 plant die zur Preußischen Bergwerks- und Hütten-Aktiengesellschaft (PREUSSAG) gehörende Unterharzer Berg- und Hüttenwerke G.m.b.H.(UHBH) den Bau einer Behelfskaue für Bergleute auf dem Gelände des Erzbergwerks Rammelsberg. Das Erzbergwerk Rammelsberg war seit Anfang der 1920er Jahre wiederum ein Tochterunternehmen der UHBH. Der Ausbau der Förderung unter Tage und der Aufbau der Erzaufbereitungsanlage im Zuge des nationalsozialistischen „Rammelsberg-Projektes“ kamen schnell voran. Der Ausbau der Sozialgebäude, insbesondere die Fertigstellung einer großen Waschkaue, verzögerte sich. Die Behelfskaue war zur Unterbringung sanitärer Anlagen geplant, weil die Belegschaft des Erzbergwerks Rammelsberg allein in den drei Jahren von 1935 bis 1938 um über 500 Personen auf eine Belegschaft von 862 Arbeitern und 82 Angestellten anwuchs. Die Behelfskaue wurde als Baracke gebaut, da es lediglich eine Übergangslösung war, die kurzfristig wieder abgerissen werden sollte.[1]

Für den Aufbau der Kaue verwendete das Bergwerk das Holz eines alten Stallgebäudes. Die Inneneinrichtung der Kaue kam zum Teil aus anderen PREUSSAG-Betrieben. Eine sparsame Bauplanung war oberste Prämisse für dieses nur auf einige Jahre angelegte Gebäude. In dieser Behelfskaue sollten 329 Arbeiter sich waschen und umziehen können. Die mindere Qualität des Gebäudes wurde in einer Baubeschreibung vom 26. Mai 1937 ausdrücklich hervorgehoben: „Das Gebäude soll aus den beim Abbruch des Pferdestalles gewonnen und noch verwendbaren Materialien errichtet werden. Es hat nur behelfsmäßigen Charakter und wird nach Fertigstellung des geplanten Neubaus der Waschkaue wieder beseitigt.“[2] 


Abb. 1: Auszug aus einem Lageplan. Die Behelfskaue wurde unterhalb der ehemaligen Sieb-
 und Klaubeanlage auf dem Werksgelände des Erzbergwerks Rammelsberg errichtet.  
 BGG-Archiv. Akte Behelfskaue Rammelsberg 1937 – 1946: Lageplan zu einer
 provisorischen Kaue des Erzbergwerks Rammelsberg vom 26. Mai 1937.

Doch nach Fertigstellung der neuen Waschkaue im Zuge der Neugestaltung der Tagesanlagen des Erzbergwerks Rammelsberg zwischen 1935 und 1942 blieb auch die Behelfskaue weiter stehen. Denn nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs und der Okkupation Polens nahm der Einsatz von „Volksdeutschen“, aber auch deportierten polnischen Mitbürgern, sowie Belgiern, Holländern, Jugoslawen und Slowaken in den Betrieben der Unterharzer Berg- und Hüttenwerke G.m.b.H., so auch am Erzbergwerk Rammelsberg, zu. Diese Zwangsarbeiter wurden ab Anfang der 1940er Jahre in der Behelfskaue untergebracht. Viele von ihnen flohen nach kurzer Zeit aus Unzufriedenheit über die Arbeit und die Unterbringung von ihrer neuen Arbeitsstelle. Zu Beginn des Krieges setzte das nationalsozialistische Regime seine wirtschaftlichen Interessen noch mit einem gewissen Entgegenkommen gegenüber den dringend benötigten ausländischen Arbeitern durch. Deshalb wurden ab dem 9. Oktober 1940 zur Verbesserung des Aufenthaltsraums in der ehemaligen Behelfskaue für die Einrichtung „40 Stck. Stühle Modell `Schönheit der Arbeit´ “ angeschafft“[3] und im Juli 1941 die „Vertilgung von Wanzen“ angeordnet.[4]


Abb. 2: Anfang der 1950er Jahre steht das Gebäude der Behelfskaue noch (rechter
Bildrand). Foto: Albert Renger-Patzsch, 1953. Sammlung Weltkulturerbe
Rammelsberg.

Doch im weiteren Verlauf des Krieges wurde die nationalsozialistische Rassenideologie immer stärker als Werkzeug des Regimes eingesetzt, um die Zwangsarbeiter zu drangsalieren und ihre Arbeitskraft möglichst effizient auszubeuten. Dazu gehörte auch die möglichst umfassende Kontrolle ihrer Lebens- und Wohnsituation. Der im März 1940 ausgearbeitete sogenannte `Polenerlass´ bot vor Ort bereits die Möglichkeiten der polizeilichen Kontrolle der Arbeiter. Dieser Erlass ordnete für „polnische Staatsangehörige, die im Reichsgebiet beschäftigt wurden, die isolierte Unterbringung in Barackenlager sowie drakonische Strafen für flüchtige oder `arbeitsscheue´ Arbeiter an.“[5] 

Doch der Einsatz der Zwangsarbeiter aus den besetzten Gebieten brachte nicht den erwarteten Erfolg und durch die weitere Einziehung von Bergleuten zur deutschen Wehrmacht verschärfte sich der Arbeitskräftemangel zunehmend. Das Oberbergamt in Clausthal-Zellerfeld schlug den Einsatz von Kriegsgefangenen am Erzbergwerks Rammelsberg vor.

In der Akte zum Bauschein für die Behelfskaue taucht deshalb am 15. September 1941 eine Bestellung von Stacheldraht auf.[6] Das Bergwerk baute die Behelfskaue erneut auf den neuen Bedarf als Gefängnis für Kriegsgefangene um, die eingesperrt engmaschig überwacht und sanktioniert werden sollten.[7]

Für den Umbau der Behelfskaue in ein Gefängnis gab es genaue Anweisungen: Vergitterung der Fenster; Verdunkelung der Fensterscheiben mit Papier; Unterteilung der vorhandenen Betten durch Bretterwände; Anbringung von Holzrosten unter den Tischen und Sitzplätzen; Absicherung der Türen und Verschließen der Schuhschränke bei Nacht, um Fluchtmöglichkeiten einzudämmen; Einrichtung eines Trockenabort für den Schlafraum; Sicherung der Dachflächen; Verlegen einer Klingelleitung vom Schlafraum zur Wachmannschaft; Bestückung der Kleiderspinde mit Ablagefach; Einrichten einer Arrestzelle im Serenissimorum-Maschinenhaus unter Tage; Anbringen eines Stacheldrahtzaunes um das Gelände, nach genauen Angaben.[8]

In einer Bestellung vom 7. Oktober 1941 werden zusätzliche Fenstervergitterungen und Sicherungselemente für Türen angefordert.[9] Weiterer Bestellungsanforderungen und Kostenvoranschläge belegen, wie akribisch die Einrichtung des Kriegsgefangenenlagers nach den Vorgaben geplant wurde.[10]

Doch nachdem die vorgegebenen Sicherheits- und Sanktionsvorkehrungen für die Behelfskaue eingeleitet waren, kam eine überraschende Wende. Der Einsatz von Kriegsgefangenen wurde im August 1940 abgelehnt. Am 22. Oktober 1941 kommt diese Wende auch in der Organisation dieses Raumes der Unterdrückung an: Die angelieferten Fenstergitter für die Behelfskaue dürfen nicht eingebaut werden, „da statt der zugesagten Kriegsgefangenen Zivilarbeiter zugewiesen sind.“[11] Um aber einen zu hohen Anteil ausländischer Arbeitskräfte an der Belegschaft zu vermeiden, wird der Einzug deutscher Bergleute zur Wehrmacht reduziert. Doch diese kurzfristige Einschränkung konnte nicht lange durchgehalten werden. „Mit der Ausweitung des Krieges richteten sich die Werksleitungen spätestens seit Frühjahr 1941 auf den längerfristigen Entzug von Mitarbeitern ein. Mit intensiven Bemühungen um die Zuteilung von Zwangsarbeitern jeder Art versuchten sie, den Anschluss an den Zug der Kriegswirtschaft zu sichern.“[12]

Deshalb heißt es in einem Schreiben des Erzbergwerks Rammelsberg an die Leitung der Unterharzer Berg- und Hüttenwerke G.m.b.H. vom 8. November 1941: „Da mit einem weiteren Absinken unserer Belegschaftszahl zu rechnen ist, muß nach Möglichkeit ein Ausgleich durch Heranziehung ausländischer Arbeitskräfte geschaffen werden. Zur Unterbringung dieser Arbeitskräfte ist ein Umbau der Hilfskaue in Form eines 6,70 m langen Anbaues erforderlich. In diesem Anbau können weitere 46 Mann untergebracht werden, so dass dann insgesamt Unterbringungsmöglichkeit für 96 Mann besteht.


Abb. 3: Am Standort der ehemaligen Behelfskaue steht heute ein flaches Gebäude
in dem zu Betriebszeiten des Erzbergwerks die Lampenstube, ein Raum für die   
Grubenwehr und ein Pförtnerbereich untergebracht waren. Jetzt wird das Gebäude
von der Museumsverwaltung des Weltkulturerbes Rammelsberg genutzt. In dem Silo
im Vordergrund wurde Zement für den Versatz unter Tage gelagert. Foto: Johannes    
Großewinkelmann, 2021.

Die dichte Beschreibung zur „Biografie“ des Gebäudes, kann aus den Bauakten bis in die Nachkriegsjahre recherchiert werden. Der erste Teil diese Beschreibung zeigt bereits eindrucksvoll, wie ein Raum im Laufe von wenigen Jahren mehrfach seinen `Modus´ wechselt und welche äußerlich sichtbaren Veränderungen das nach sich zog. Dazu kommt die Einbindung vieler Bereiche in diesen Prozess, von der Bauverwaltung der Unterharzer Berg- und Hüttenwerke G.m.b.H. bis zu den Werkstätten des Erzbergwerks Rammelsberg. Es wird quasi aus den einzelnen Baumaßnahmen für viele an diesem Prozess Beteiligte sichtbar, welche Funktion der Raum in verschiedenen Phasen der Unterdrückung zwangsweise am Bergwerk eingesetzter ausländischer Arbeitskräfte haben sollte.

Auch im zweiten Teil dieser Gebäude-Geschichte wird in einem der nächsten Beiträge der Wandel der Behelfskaue in den Jahren von 1942 bis 1945 unter sich dramatisch zuspitzenden Bedingungen mit dem Eintritt Deutschlands in einen „totalen Krieg“ vorgestellt und dadurch werden weitere Zusammenhänge von Raum, Organisation und Unterdrückung im Nationalsozialismus an diesem Ort und in diesem Gebäude sehr konkret nachvollziehbar.


[1] Vgl. BGG-Archiv. Akte Behelfskaue Rammelsberg 1937 – 1946. Lageplan zu einer provisorischen Kaue des Erzbergwerks Rammelsberg vom 26. Mai 1937.

[2] BGG-Archiv. Akte Behelfskaue Rammelsberg 1937 – 1946. Baubeschreibung vom 26. Mai 1937.

[3] BGG-Archiv. Akte Behelfskaue Rammelsberg 1937 – 1946. Bestellung der Unterharzer Berg- und Hüttenwerke G.m.b.H. für das Erzbergwerk Rammelsberg, Goslar vom 8. November 1940.

[4] BGG-Archiv. Akte Behelfskaue Rammelsberg 1937 – 1946. Bestellung an Adolf Wiese Goslar, Am Siechenhof 9 vom 11. Juli 1941.

[5] Bernhard Stier / Johannes Laufer: Von der Preussag zur TUI. Wege und Wandlungen eines Unternehmens 1923 – 2003. Essen 2005, S. 352.

[6] BGG-Archiv. Akte Behelfskaue Rammelsberg 1937 – 1946. Bestellung einer Rolle Stacheldraht beim Kriegsgefangenenlager in Fallingbostel. Vom 25.9.1941. 

[7] BGG-Archiv. Akte Behelfskaue Rammelsberg 1937 – 1946. Vermerk betr. Unterbringung von Kriegsgefangenen in der Hilfskaue vom 2. Oktober 1941.

[8] BGG-Archiv. Akte Behelfskaue Rammelsberg 1937 – 1946. Vermerk betr. Unterbringung von Kriegsgefangenen in der Hilfskaue vom 2. Oktober 1941.

[9] BGG-Archiv. Akte Behelfskaue Rammelsberg 1937 – 1946. Bestellung der Unterharzer Berg- und Hüttenwerke G.m.b.H. für das Erzbergwerk Rammelsberg vom 7. Oktober 1941.

[10] BGG-Archiv. Akte Behelfskaue Rammelsberg 1937 – 1946.

[11] BGG-Archiv. Akte Behelfskaue Rammelsberg 1937 – 1946. Schreiben des Erzbergwerks Rammelsberg an Unterharz, Abt. Einkauf, vom 22. Oktober 1941.

[12] Bernhard Stier, Johannes Laufer: Von der Preussag zur TUI. Wege und Wandlungen eines Unternehmens 1923 – 2003. Essen 2005, S. 353.

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