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Reparatur – Austausch – Restaurierung: Die Erneuerung der Radwelle des Kanekuhler Kehrrades im Roeder-Stollen gibt Einblicke in das komplexe Thema Industriedenkmalpflege

Was sagt ein Handbuch zum Umgang mit einem Industriedenkmal

Schaut man in das Online-Handbuch „Indumap“ zum Umgang mit Industriedenkmalen[1], werden unter der Rubrik „Leitvorstellungen“ beispielhafte Verfahrensweisen beim Umgang mit Industriedenkmalen vorgeschlagen. Soll ein Objekt nicht seinem unaufhaltsamen Alterungsprozess überlassen oder unter weitgehender Vermeidung von Eingriffen in einem vorgefundenen Zustand konserviert werden, listet das Handbuch folgende mögliche Verfahrensschritte auf: 

  • Reparatur – handwerklich saubere Arbeiten zur Beseitigung von Schäden, die ohne Eingriff zu weiterem Verfall führen würden.
  • Restaurierung – bauliche bzw. restauratorische Maßnahmen aufgrund von eindeutigen Befunden die ggf. einen nicht mehr vorhandenen Zustand aufgreifen bzw. sich diesem annähern.
  • Rekonstruktion – erneute Hinzufügung verlorener Bestandteile eines Denkmals, die von eindeutigen Befunden (z.B. Zeichnungen, Fotos, Spuren am Bauwerk) gestützt sein sollten.

Vor diesem Hintergrund heißt es am 6. September 2017 in einem Antrag des Weltkulturerbes Rammelsberg an das Niedersächsische Landesamt für Denkmalpflege zur Beantragung von Fördermitteln für das Kanekuhler Kehrrad unter der Rubrik „Maßnahme“ aus heutiger Sicht schon fast lapidar: Instandsetzung der Radwelle des untertägigen Kanekuhler Kehrrades im Roeder-Stollen des Weltkulturerbes Rammelsberg.

Das diese Formulierung der Beginn eines mittlerweile vierjährigen Verfahrens war, in dem alle drei im o.g. Handbuch beschriebenen Verfahrensschritte durchlaufen werden und aus der ursprünglichen Reparatur eine komplette Rekonstruktion des Kanekuhler Kehrrades im Roeder-Stollen des Weltkulturerbes Rammelsberg geworden ist, konntedamals noch niemand ahnen.

Doch zunächst kurz zurück zum Anfang, nämlich zu der Geschichte des Kanekuhler Kehrrades:


Das Kanekuhler Kehrrad im Roeder-Stollen des Weltkulturerbes Rammelsberg im Jahr 2003, noch mit intakter Radwelle. Foto: R. Bothe

Das Kanekuhler Kehrrad befindet sich vom Stollenmundloch ausgehend ca. 55 Meter unter der Erdoberfläche im Liegenden des ehemaligen Erzbergwerkes Rammelsberg. Es handelt sich hierbei um die oberste, erste Kehrradstube des Roeder’schen Wassersystems. Dort steht das Kanekuhler Kehrrad, welches in historischen Zeiten zur Förderung des Erzes im Kanekuhler Schacht diente. Die Radstube selbst ist etwa 11 m hoch (inkl. Wassertrog), ca. 7,5 m breit und zirka 10 m lang.


Isometrische Darstellung des Wasserhaltungs- und Erzförderungssystem im Roeder-Stollen.
In: Heinfried Spier, Historischer Rammelsberg, Wieda 1994, S. 31.

Als Kehrrad ausgeführt kann es seine Drehrichtung umkehren, abhängig davon, welchem der beiden gegensätzlichen Schaufelkränze das Aufschlagwasser zugeführt wird. Mit dem Kehrrad wurde eine Seiltrommel in Bewegung gesetzt, auf die ein Seil mit Erztonne im Schacht auf und ab bewegt werden konnte. Das heutige Kanekuhler Kehrrad ist ein Neubau aus dem Jahre 1996, rekonstruiert anhand von gefundenen Resten eines älteren Rades. Das rekonstruierte Kanekuhler Kehrrad (Lärchenholz), welches einen Durchmesser von etwa 7,64 m besitzt und fast 10 t wiegt, ist mit einer zirka 5 m langen Radwelle (Drehachse) aus Eichenholz ausgestattet.

Das rekonstruierte Kanekuhler Kehrrad kann in Bewegung gesetzt werden, um Besuchern die Mächtigkeit des Rades zu demonstrieren und zu zeigen, mit welcher kleinen Wassermenge ein so gewaltiges Wasserrad in Bewegung gesetzt werden kann. Die Besucher gelangen heute in die Radstube über eine Treppe auf eine Bühne in Höhe des ehemaligen Wasserkastens und können von oben auf seine konstruktiven Details hinabblicken. Um es in Bewegung zu setzen, wird mit einer elektrischen Pumpe Wasser auf das Kehrrad geführt.[2]

Die Rekonstruktion des Kehrrades wurde 1995 als Teil des unter Denkmalschutz stehenden Roeder-Stollens genehmigt.

Die Radwelle besitzt überwiegend einen quadratischen Querschnitt, ist aber an beiden Enden konisch geformt. Das Rad ist mit speziellen Keilen fest mit der Radwelle verbunden. An den Radwellenenden wurden die sog. ‚Doppelkrummzapfen‘ mit der Achse verbunden. Die Krummzapfen dienten früher zur Kraftübertragung auf  ‚Treibstangen‘, mit denen die über das Kehrrad angeordnete Seiltrommel angetrieben wurde. Treibstangen und Seiltrommel sind Mitte der 1990er Jahre nicht rekonstruiert worden.

Nur die Krummzapfen wurden originalgetreu neu gegossen und in passgenaue Schlitze im Wellenholz der Radwelle mittels Stahlringen verspannt. An den Radwellenenden liegen die Krummzapfen in geschmierten Lagerschalen aus Rotguss.

Die Reparatur

Ein Radwellenende wurde vor einigen Jahren von einem Fäulnispilz befallen, der das Holz der Welle auf einer Länge von ca. 80 cm zerstört hat. Als Folge des Pilzbefalls lockerte sich das Kehrrad auf der Welle und begann im Betrieb gefährlich zu schlagen. Das Kehrrad konnte nicht mehr in Bewegung gesetzt werden. Damit war ein wichtiges Element in der Besucherführung durch den Roeder-Stollen ausgefallen.  

Als Reparatur wurde der geschädigte Radwellenkonus abgesägt und durch einen ‚Flansch‘ bzw. eine Adapterkonstruktion aus Stahl ersetzt. Der stählerne Adapter dient der Aufnahme des Krummzapfens.


Mit einem speziellen Adapter aus Stahl wird die Radwelle des Kehrrades zunächst repariert. Foto: Weltkulturerbe Rammelsberg

Diese Reparatur gewährleistete mehrere Jahre wieder einen gesicherten Lauf des Kehrrades, bis der sich weiter ausbreitende Fäulnispilz weitere Teile der Radwelle stark geschädigt hatte. Dadurch wurde die Tragfähigkeit der Radwelle erheblich beeinflusst.

Die Restaurierung

Als zunächst angedachte Maßnahme sollte die Vollholzwelle gegen einen Stahlwelle ausgetauscht werden, um eine abermalige Schädigung der Radwelle zu verhindern. Im intensiven Austausch zwischen dem Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege, der Unteren Denkmalschutzbehörde der Stadt Goslar und dem Weltkulturerbe Rammelsberg wurde im Sommer 2018 auf der Basis des Denkmalschutzes für das gesamte Wasserhaltungs- und Erzförderungssystem im Roeder-Stollen beschlossen, doch wieder eine Vollholzwelle ins Kanekuhler Kehrrad einzusetzen. Aus der Reparatur wurde eine komplexe Restaurierungsmaßnahme für die das Weltkulturerbe Rammelsberg neben Eigenmitteln Fördergelder aus einem Sonderprogramm der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und des Niedersächsischen Landesamts für Denkmalpflege beantragte.

Der Einsatz einer Vollholzwelle erforderte eine andere Transportplanung als der Einsatz einer wesentlich handlicheren Stahlradwelle. Der mögliche Transport der hölzernen Radwelle (L 490cm / B 60 cm / H 60 cm) mit einem Gewicht von ca. 1,8 t durch das Mundloch des Roeder-Stollens auf dem ersten Wasserlauf bis zur Kanekuhler Kehrradstube musste deshalb zunächst simuliert werden. Der Transportweg wurde mit einem Dummy vermessen. Die Durchgangsweiten auf dem ersten Wasserlauf bis zur Kehrradstube waren ausreichend.

Auf diesem Weg transportierten unsere Vorfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit auch schon vor über 200 Jahren die Radwellen der Wasserräder in den Roeder-Stollen.


Mit einem Dummy wird der Transport der neuen Vollholzradwelle für das Kanekuhler Kehrrad im Roeder-Stollen simuliert. Foto: Weltkulturerbe Rammelsberg.

Die neue Vollholzradwelle soll mit neuen Holzschutzmitteln und einer verbesserten Wetterführung (Belüftung) der Kehrradstube vor einem schnellen Befall mit Fäulnispilzen geschützt werden. Insbesondere eine veränderte Wetterführung wird den Luftaustausch in der Kehrradstube beschleunigen und damit dem Anheften des Fäulnispilzes an das Holz der Radwelle entgegenwirken.

Nach einigen Verfahrensverzögerungen bei der Fördermittel- und der Auftragsvergabe konnte Anfang 2020 die Mühlenbaufirma, die 1996 bereits die Rekonstruktion des Kanekuhler Kehrrades vorgenommen hatte, mit dem Einbau der neuen Radwelle beauftragt werden.

Im Sommer 2020 wurde schließlich aus einem kompletten Eichenholzbaustamm die neue Radwelle hergestellt.  


Bearbeitung der neuen Radwelle aus einem kompletten Baumstamm. Foto: Mühlenbau Gottfried Schumann, Mulda.

In der Kanekuhler Kehrradstube musste die alte Radwelle dann aus dem Kehrrad ausgebaut werden. Dafür wurde ein Teil der vorhandenen Besucherbühnen vorübergehend abgebaut und der Museumsbetrieb in diesem Bereich zeitweise eingestellt.

Das Kehrrad konnte auf eine Stützkonstruktion abgesetzt werden, um die alte Radwelle zu entlasten und dann entfernen zu können. Danach zogen die Mühlenbauer die alte Radwelle aus dem Kehrrad.


Stützkonstruktion zum Absetzen das Kehrrades, damit die alte Radwelle demontiert werden konnte. Foto: Weltkulturerbe Rammelsberg

Die neue Radwelle liegt für den Einbau bereit. Foto: Weltkulturerbe Rammelsberg

Für den Transport der neuen Radwelle im Roeder-Stollen wurden spezielle
Transportvorrichtungen gebaut. Foto: Weltkulturerbe Rammelsberg

Die Rekonstruktion der Rekonstruktion

Bereits beim Ausbau der alten Radwelle wurden zusätzliche Schäden durch Fäulnispilze am Radschloss, dass aus Keil- und Viertelstockhölzern besteht und durch den die Radwelle in das Kehrrad geschoben wird, festgestellt. Der Pilzbefall ist stellenweise aufwärts bis in die Haupt- und Sticharme des Kehrrades vorgedrungen. Zur Sicherheit sollten die befallenen Bereiche der Radarme ausgetauscht werden.

Weitere Untersuchungen vor dem Einbau der neuen Radwelle ergaben dann die bittere Wahrheit, dass die Stabilität des gesamten Kehrrades aufgrund des Fäulnispilzbefalls gefährdet ist. Dieses wurde durch ein Holzgutachten bestätigt.

Im letzten Herbst musste dann der ursprüngliche Antrag auf denkmalrechtliche Genehmigung entsprechend abgeändert und die Rekonstruktion des bereits 1996 rekonstruierten Kanekuhler Kehrrades beantragt werden. Da es sich bei der vollständigen Rekonstruktion des Kehrrades um ein neues Projekt handelt, muss das Weltkulturerbe Rammelsberg einen erheblich größeren Eigenmittelanteil aufbringen, um dieses Projekt zu einem erfolgreichen Abschluss bringen zu können.

Zurzeit laufen die Arbeiten zur Demontage des alten Kehrrades und der Rekonstruktion eines neuen Kehrrades. Bis zum Sommer soll der Einbau des neu rekonstruierten Kanekuhler Kehrrades abgeschlossen sein. 

Innerhalb der letzten vier Jahre haben die Arbeiten am Kanekuhler Kehrrad die komplexe Bandbreite der zu Beginn genannten Vorgehensweisen beim Umgang mit Industriedenkmalen quasi im Zeitraffer durchlaufen. Das war in dieser Weise sicherlich ungewöhnlich, aber nicht einzigartig. Viele Industriedenkmale sind ein Konglomerat aus sehr unterschiedlichen Materialien, Techniken und konstruktiven Elementen, die bei der Unterdenkmalschutzstellung nicht alle offensichtlich sind. Erst wenn es gilt, das Denkmal zu erhalten, wird häufig erst die „Büchse der Pandora“ geöffnet. Erst dann bekommt man einen Einblick in die komplexen Zusammenhänge eines technischen Denkmals, dass zunächst als einfach zu beherrschende Konstruktion erscheint, dann aber ein großes Spektrum an bedenkenswerten Herausforderungen preisgibt.    


[1] www.indumap.de/glossar/denkmalbegriff. Letzter Aufruf: 3.03.2021.

[2] Vgl. Hans-Georg Dettmer, „Die meisterhafte Ausführung eines trefflichen Gedankens.“ Der Roeder-Stollen im Rammelsberg, Goslar 2005, S. 20f.


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