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Kultur ist die Grundlage der Freiheit – gerade auch in Corona-Zeiten

Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland beginnt mit einer Bringschuld: Nach den Gräueltaten der nationalsozialistischen Diktatur war der Beweis anzutreten, dass die neue Republik und ihre Bewohner zu „kulturvollem Handeln“ fähig sein konnten.

Das heißt, es galt neben dem wirtschaftlichen Wiederaufbau, Umgangsformen von Willkür und Irrationalität zu überwinden, historische Anknüpfungspunkte an die Geschichte vor die Zeit des Nationalsozialismus zu finden und eine demokratische Identität, in einer freien Gesellschaft zu definieren oder besser gesagt als Experiment zu wagen.

Zunächst suchte man die Anlehnung an die bedeutenden Phasen der Hochkultur des 18. und 19. Jahrhunderts; zur Überwindung der historischen Realität ein Land „der Richter und Henker“ zu sein, bediente man sich gerne der Allegorie, der wahre Kern läge im Lande „der Dichter und Denker“.

Die sozialen Bewegungen der 60er bis 90er Jahre entwickelten die „Adenauer-Republik“ nachhaltig weiter. Sie schufen das, was man aus der Retrospektive heute, als Breiten- oder Basiskultur bezeichnen würde.

Es „erschufen sich“ Stadtteilzentren, Kunstvereine, Musikinitiativen und Umweltverbände. Neben den Universitäten entstanden Geschichtswerkstätten und Sommerhochschulen und die Museen der Industriekultur fanden ihren Platz neben den Tempeln der Kunst des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts.

Parallel hierzu entwickelten sich staatlich organisierte Film- und Musikfestivals und Kultur und Kunst fanden ihren Ort bis weit jenseits der Metropolen. Trotzdem blieb Kultur in den meisten Landesverfassungen bis in die Gegenwart „eine freiwillige Aufgabe“ staatlichen Handelns.

Diese breite Grundlage kultureller Begegnung, ja kultureller Streitbarkeit, erodierte zunehmend ab den 1990er Jahren.

Die Internationalisierung des Welthandels, die durchgreifende Ökonomisierung aller Lebenswelten und die zunehmende Inszenierung und Eventisierung des Alltags, sowie letztendlich die Ausgestaltung zentraler Lebensfunktionen im Internet, führten in vielen Bereichen der Gesellschaft zu einer „Entortung“ und „Entpersonalisierung“ der Lebenszusammenhänge und in rascher Folge zur Infragestellung von Sinnzusammenhängen und kulturellen Identitäten.

Kultur fand nicht mehr durch, sondern mit und für den Menschen statt. Dies zeigt sich in heutigen Ausdrucksformen, wie der permanenten Notwendigkeit der Organisation von Ehrenamt in Agenturen oder in der Verwechslung von Theaterbesuchen mit „Butterfahrten“ zur Festivalarena „König der Löwen“ in Hamburg.

Trotz all dieser Erosionsprozesse hat der gesellschaftliche Kitt eines gemeinsamen „kulturvollen Handelns“ in der sogenannten „Corona-Krise“ im Wesentlichen gehalten. Möglicherweise waren es gerade die Jahrgänge des „Wertemix“ der 70er und 80er Jahre, also die Akteure der „alten Republik“ der Vorwendezeit, die in einer bemerkenswerten Mischung „aus preußischer Disziplin“ und innerer Freiheit, das Regelwerk des Alltags und den inneren Frieden der Republik zusammengehalten haben.

Umso mehr bedarf es nun mit dem vermeintlichen „Abklingen der Corona-Pandemie“ einer klaren Positionierung der kulturellen Träger, aber auch der staatlichen Alimenteure. Die Entwicklungen in der Corona-Krise haben bewiesen, dass „Kultur eine langfristige Nahrungsquelle“ ist.

Gerade in Zeiten der Flexibilisierung von Gesellschaften, sind nicht nur Gehalt und Arbeitsplatz, sondern gerade auch das kulturelle Umfeld, eine Standortentscheidung.

Indem Menschen kulturell schaffend tätig sind, verändern sie aktiv ihr soziales Umfeld. Das heißt, Menschen, die sich für einen Standort entschieden haben, entwickeln diesen durch Aktivitäten bewusst und unbewusst für Nachfolgende weiter und verändern deren Rahmenbedingungen.

Als Pendant zur Globalisierung entsteht ein steigendes Bedürfnis das eigene Umfeld als einen „besonderen Ort“ definieren zu können, das heißt, authentische, historische Stätten, intakte Naturensembles, gesunde Lebensbedingungen und Chancen sich selbst kreativ auszudrücken gewinnen zunehmend an Bedeutung.

Nicht zuletzt bildet dann auch das materielle kulturelle Potential und der pflegliche Umgang mit demselben das Rückgrat zu neuer Wertschöpfung.

Kultur schafft Identität. Die seelenlosen Betonwüsten der Vorstädte sind Indizien einer gegenteiligen Entwicklung. Die achtlose Vernachlässigung gewachsener kulturräumlicher Beziehungen, führt ganz automatisch zum Verlust gesellschaftlicher Bindeklammern.

Gerade in „Corona-Zeiten“ die in besonderer Art und Weise durch Solidarität und Endsolidarisierung geprägt sind, und vor dem Hintergrund wachsender nationaler Egoismen, ist es für demokratische Gesellschaften angeraten der „Kultur den Rücken zu stärken“ und dies meint explizit einen grenzüberschreitenden, einen internationalen Kulturbegriff.

Gerhard Lenz M.A., Geschäftsführer Erzbergwerk Rammelsberg Goslar GmbH/Direktor Stiftung Welterbe im Harz

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