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Im Schatten des Weltkulturerbes: Die Armerzaufbereitung am Bollrich

Die Tagesanlagen des Weltkulturerbes Erzbergwerk Rammelsberg in Goslar aus den 1930er Jahren sind weithin bekannt. Dass Fritz Schupp, einer der Architekten, nur wenige Kilometer vom Weltkulturerbe entfernt in den 1950er Jahren ähnliche Gebäude für eine Erzaufbereitungsanlage gebaut hat, bleibt häufig unerwähnt.

Als Folge des Krieges auf der koreanischen Halbinsel stiegen seit dem Sommer 1950 die Blei-, Kupfer- und Zinkpreise auf dem Weltmarkt in wenigen Jahren um das Doppelte. Die Beteiligung von UN-Streitkräften, insbesondere aus den USA, am Korea-Krieg erhöhte die amerikanische Rüstungsproduktion und deren Nachfrage nach Rohstoffen. Westdeutschland hatte freie Produktions- und Förderkapazitäten im Rohstoffsektor. Das Erzbergwerk Rammelsberg steigerte innerhalb von vier Jahren zwischen 1951 und 1955 seine Erzförderung deshalb von 191.000  auf 316.000 Tonnen im Jahr.

Bereits 1950 hatte das  Erzbergwerk Rammelsberg begonnen auch Banderz abzubauen, das an den Rändern des Erzkörpers den Übergang zum erzfreien, „tauben“ Gestein bildete. Dieses Erzgestein mit einem Anteil von 25 Prozent Erz und 75 Prozent Nebengestein wurde „Armerz“ genannt. Es konnte nicht vollständig in der Erzaufbereitung am Rammelsberg verarbeitet werden. Es wurde hier nur zerkleinert und dann direkt auf dem Grubenbahnhof verladen. Von hier aus gelangte es durch den bereits in den 1920er Jahren aufgefahrenen Gelenbeeker Stollen per Grubenbahn zur Aufbereitungsanlage am Bollrich. Hier plante das Essener Büro von Fritz Schupp seit Mitte 1951 den Bau einer Aufbereitungsanlage.

Der Standort außerhalb von Goslar

Der Standort am Bollrich lag verkehrs- und betriebstechnisch günstig. Er lag an der bestehenden Bahnverbindung vom Erzbergwerk Rammelsberg zu den Hüttenwerken im Ortsteil Oker, wo die Erzkonzentrate aus der Erzaufbereitung weiterverarbeitet wurden. Die Armerzaufbereitung am Bollrich konnte ihre Produkte über die normalspurige Bahnstrecke ebenfalls zu den Hütten nach Oker transportieren. Außerdem konnten am Bollrich die Abwässer aus der Aufbereitungsanlage mit einem natürlichen Gefälle in Absitzbecken fließen.   

Den Auftrag zur Planung der Armerzaufbereitungsanlage bekam Fritz Schupp von Paul Ferdinand Hast. Hast hatte bereits 1935 als stramm nationalsozialistisch orientierter Geschäftsführer der Unterharzer Berg- und Hüttenwerke das Büro Schupp / Kremmer – Martin Kremmer war 1945 bei einem Bombenangriff auf Berlin gestorben – für den Bau der Tagesanlagen des Erzbergwerkes Rammelsberg vorgeschlagen.

Die Diskussion am Rammelsberg in den 1930er Jahren um die landschaftliche Lage der geplanten Tagesanlagen wurde auch 20 Jahre später am Bollrich in ähnlicher Weise wieder geführt. Fritz Schupp beschrieb seine Aufgabe im Zentralblatt für Industriebau 1968 rückblickend: „ Deshalb war es unsere Pflicht, hier vor allem auf Wiesen und Wald sowie einzelne Baumgruppen besondere Rücksicht zu nehmen. Für mich als den verantwortlichen Architekten galt es also, das Projekt so zu beeinflussen, daß das Bauwerk ohne Störung des Landschaftsbildes seine betrieblichen Funktionen erfüllen konnte.“

Die Anordnung der Gebäude

Zunächst skizzierte Schupp eine Aufbereitungsanlage in Hanglange, vergleichbar mit der am Rammelsberg. Damit hätte er den Baukomplex weiter ins Gelmketal und aus der Sichtweite der Stadt gerückt. Doch dann entwarf er einen Gebäudekomplex als kompakte Anlage auf einer Hügelkuppe am Bollrich und die Gebäude konnten von der Stadt gesehen werden. Er ordnete die einzelnen Betriebsgebäude so an, dass sie einen zur Südseite hin geöffneten Innenhof bilden und sich zur Landschaft hin auflockern. Die Aufbereitungshalle wird über eine Sheddachkonstruktion belichtet. Die übrigen Gebäudeteile erhielten großzügig verglaste Seitenwände.

Abb. 1: Das geschlossene Gebäudeensemble der Armerzaufbereitung am Bollrich mit der nach Süden geöffneten Hofseite. Sammlung Weltkulturerbe Rammelsberg, Leihgabe Bergbau Goslar GmbH, 1980er Jahre.
Abb. 2: Blick von Süden auf die an den Berghang gebauten Gebäude des Erzbergwerkes Rammelsberg. Foto: Weltkulturerbe Rammelsberg 2010.
Abb. 3: Die Gebäude sind in Stahlbeton-Skelettbauweise gebaut. Die Binder und Dachaufbauten der Aufbereitung sind aus Stahlfachwerk mit seitlichen Lichtbändern. Foto: Johannes Großewinkelmann, Weltkulturerbe Rammelsberg, 2019.

Funktionsweise der Aufbereitung

Das zerkleinerte Banderz des Erzbergwerks wurde in einem Tiefbunker neben der Verladestelle der Aufbereitung entladen. Von dort aus gelangte es über eine Schrägförderanlage zu den Kugelmühlen in die Feinzerkleinerung und wurde mit Wasser versetzt. Die Erztrübe musste danach in das erste Stockwerk gepumpt werden um in der Schwimmaufbereitung mittels chemischer Reagenzien in die Erzbestandteile Blei-Kupfer-Konzentrat, Zinkkonzentrat und Schwefelkies-Konzentrat getrennt zu werden. Danach folgte die Entwässerung der Konzentrate in Eindickern und durch Trommelvakuumfilter. In Waggons verladen konnte es auf der Schiene zu den Hüttenbetrieben in Oker gebracht werden. Das Prinzip der Aufbereitung entsprach Aufbereitungsverfahren am Rammelsberg, aber mit dem Unterschied, dass am Bollrich der Materialfluss nicht durch die Hanglage bedingt von oben nach unten verlief, sondern mit Transportbändern und Pumpen in einem Kreislauf bewegt wurde.

Die kompakte und überschaubare Anlage auf der Hügelkuppe gestaltete die Arbeitswege innerhalb des Gebäudes kurz und eine technisch ausgereifte  Arbeitsorganisation kam mit weniger Personal aus, als dieses in der Erzaufbereitung am Rammelsberg notwendig war.

Die Gestaltung der Fassade

In der Außengestaltung nimmt Schupp die gleichen Elemente auf, die er zusammen mit Martin Kremmer schon 20 Jahre zuvor am Rammelsberg eingesetzt hatte. Die Außenhülle des ausgeziegelten und verputzten Stahlbetonskeletts bildete eine Holzverkleidung, die mit Karbolineum angestrichen ist. Damit sollte sich die Gebäudefassade den traditionellen Holzhäusern im Harz annähern. Mauern wurden im Erdgeschoßbereich teilweise mit regionalen Natursteinen verblendet, um auch hier eine Brücke zur umgebenden Landschaft zu schlagen. 

Abb. 4: Gebäude der Aufbereitungsanlage mit 25 Meter hohem Wasserturm. Foto: Johannes Großewinkelmann, Weltkulturerbe Rammelsberg, 2019.

Trotz der äußeren, traditionellen Gestaltungselemente, erscheinen die klaren kubischen Formen der Armerzaufbereitung am Bollrich, mit den großen Fensterbändern, den flachen Dächern und der großzügigen Verwendung von Stahl, Beton und Glas, der Architektur der klassischen Moderne verpflichtet.

Abb. 5: Der Abwässereindicker war der Übergabepunkt von dem aus ein natürliches Gefälle die Aufbereitunsgsschlämme in die nahe gelegenen Absitzbecken spülte. Mit der Verwendung von Natursteinverblendungen wiederholte Fritz Schupp am Bollrich ein Gestaltungselement, das er bereits am Rammelsberg eingesetzt hatte. Foto: Weltkulturerbe Rammelsberg, Leihgabe Bergbau Goslar GmbH, 1980er Jahre.  

Die Stilllegung

Bereits ein Jahr vor der Stilllegung des Erzbergwerkes Rammelsberg wurde 1987 die Armerzaufbereitung am Bollrich geschlossen, weil der starke Preisverfall bei den Nichteisenmetallen einen wirtschaftlichen Betrieb nicht mehr zuließ. Es gab in den Folgejahren einige Nachnutzungen, u.a. ab 1989 eine von der Preussag initiierte Elektronikschrott-Recyclinganlage, die sich aber langfristig nicht an diesem Standort etablieren konnte. Für die Dreharbeiten zu dem Spielfilm „Das Wunder von Lengede“ (2003), wurde in der Aufbereitungshalle im Erdgeschoß ein Stollenausbau eingebaut, der für die Filmarbeiten geflutet werden konnte. Die Reste dieser Filmkulisse befinden sich weiterhin im Gebäude.

Aktuell werden einige Gebäudeteile noch für die Aufgaben zur Entwässerung des Erzbergwerkes Rammelsberg genutzt, dazu wurde ein neuer Entwässerungsstollen vom Gelände der Armerzaufbereitung Richtung Rammelsberg aufgefahren. Doch eine langfristige Erhaltung der Gebäude ist nicht absehbar. 

Abb. 6: Der stark geschwungene Treppenaufgang im Wasserturm verbindet die verschiedenen Etagen. Foto: Johannes Großewinkelmann, Weltkulturerbe Rammelsberg, 2019.
Abb. 7: Verladestation der Armerzaufbereitungsanlage am Bollrich. Rechts die Schienen mit einer Spurbreite von 600 Millimeter für den Erztransport vom Erzbergwerk Rammelsberg durch den Gelenbeeker Stollen zur Armerzaufbereitung. Links die Schienen mit Normalspurbreite der Bundesbahn, auf denen bis in die 1970er Jahre die Konzentrate der Armerzaufbereitung zu den Hütten transportiert wurden. Foto: Sammlung Weltkulturerbe Rammelsberg, Leihgabe Bergbau Goslar GmbH, 1980er Jahre.

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