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Fritz Schupp und Martin Kremmer, die Architekten der Tagesanlagen des Erzbergwerkes Rammelsberg und die Entwicklung der Moderne in der Industriearchitektur (1918–1933)

Der Fabrikbau vor dem Ersten Weltkrieg war überwiegend eine Kompromisslösung unter dem Zwang, „den Ansprüchen der Produktion zu genügen und zugleich kostengünstig und dauerhaft ausgebildet zu sein.“[1] Dieser Einschätzung des Industriedenkmalpflegers Walter Buschmann kann man zunächst kaum folgen, denn die historistischen Fabrikfassaden am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts dienten nicht der Produktion, sondern der Repräsentation. Doch hinter den in allen Varianten ausgeformten historistischen Fassaden dehnten sich überwiegend große Areale reiner Zweckbauten aus. Alfred Krupp lehnte beispielsweise übermäßig repräsentative Fabrikbauten für sein Unternehmen ab. „Alle Mehrkosten für Anlagen, welche keinen weiteren Zweck haben als Ansehen, Stil und Berücksichtigung von Schönheitssinn, müssen für immer verpönt sein.“[2]

Deshalb war das Ingenieurgebäude der Vorläufer der modernen Architektur. Die Konstruktionen der Bauingenieure folgten den Gesetzen der Statik und den Geboten der Sparsamkeit und erreichten dadurch wichtige Schritte der späteren Architektur der Moderne. Über den Ingenieurbau wurde ein wichtiger Verbindungsstrang zur Bauhausmoderne geschaffen.

Seit Anfang des 20. Jahrhunderts sind neben den Ingenieuren immer häufiger auch Architekten an der Planung der Zechenanlagen im Ruhrgebiet beteiligt. Zu den Fördereinrichtungen kamen Kraftwerk, Kauengebäude, Lampenstube, Werkstatt und Verwaltungsgebäude als wichtige Elemente der Tagesanlagen. Als einer der ersten Architekten forderte Johannes Erberich eine gewisse Systematik im Aufbau von Zechenanlagen. Als wichtige Voraussetzung erachtete er die möglichst enge Kooperation der verschiedenen, an der Planung und dem Bau von Bergwerksanlagen, beteiligten Berufsgruppen.[3] Die Gründung des Deutschen Werkbundes1907 gab diesen Bestrebungen eine weitere Dynamik. Fabrik- und Werksgelände waren vor dem Ersten Weltkrieg häufig durch sukzessive Erweiterung planlose, unübersichtliche Anlagen. Der Werkbund forderte eine Ordnung der Gebäude auf einem Industriegelände. Diese Ordnung sollte auch der Proportionierung der Gebäude dienen, die im Einzelnen von innen aus dem Grundriss heraus entwickelt werden mussten. Eine Forderung die Walter Gropius später als fundamentalste Aufgabe der Baukunst betrachtete.[4]

Es waren zunächst Fabrikbauten von Peter Behrens für die Allgemeine Electricitäts-Gesellschaft (AEG) in Berlin ab 1908 und von Walter Gropius und Adolf Meyer für die Fagus-Werke in Alfeld ab 1911, die den Beginn einer Entwicklung besiegelten, die dann nach der Gründung des Bauhauses 1919 stilbildend für das stand, was später als Bauhaus-Stil bezeichnet wurde. Und tatsächlich wurden wichtige Elemente, z.B. Peter Behrens Backsteinbau und die von ihm bevorzugten Materialien Stahl, Glas und Beton in den 1920er Jahren im Industriebau eingesetzt. Fritz Schupp und Martin Kremmer wurden  wichtige Protagonisten dieser Industriebauweise.


Fritz Schupp (1896 – 1974)[5]

Fritz Schupp kam am 22. Dezember 1896 in Krefeld als Sohn eines leitenden Angestellten der dort ansässigen chemischen Industrie zu Welt. An seine Schulausbildung an einem humanistischen Gymnasium in Essen schloss sich ab 1914 ein Architekturstudium zunächst an der Technischen Hochschule in Karlsruhe an. Bereits hier lernte er den aus Berlin stammenden Martin Kremmer kennen.


Martin Kremmer (1894 – 1945)[6]

Martin Kremmer wurde 1894 im polnischen Posen/Poznan als Sohn eines Oberstudiendirektors geboren. Zunächst in Polen zur Schule gegangen, machte Martin Kremmer nach dem Umzug in Berlin sein Abitur und begann 1915 ein Architekturstudium in Karlsruhe. Im Gegensatz zu Fritz Schupp, der wehruntauglich war, leistete Kremmer seinen Militärdienst im Ersten Weltkrieg ab. Während Fritz Schupp sein Studium zunächst in München fortsetze und an der Technischen Hochschule in Stuttgart seine Diplomprüfung machte, wechselte Martin Kremmer von Karlsruhe nach Stuttgart und schloss sein Studium an der Technischen Hochschule in Berlin-Charlottenburg ab.

Fritz Schupp und Martin Kremmer studierten an den damals bedeutendsten deutschen Hochschulen für Architektur in Karlsruhe, Stuttgart, München und Berlin. Ein Studium nach den Kriterien des Neuen Bauens konnten sie noch nicht durchlaufen, weil das Bauhaus erst ab 1927 eine Architekturausbildung anbot. In der Stuttgarter Architektenausbildung wurde aber schon eine Abwendung von der akademischen Abstraktion, hin zu einer handwerklichen Erziehung gefordert. Hieran konnten die Ideen des Bauhauses problemlos anknüpfen.[7] Parallel zum Studium spielte auch bei Fritz Schupp und Martin Kremmer die praktische Arbeit im Architekturbüro eine wesentliche Rolle. 

Die Freundschaft zwischen den beiden veranlasste sie wohl dazu, ab 1922 eine Architektensozietät zu gründen. Es war der Anfang einer erfolgreichen Zusammenarbeit, die durch sich ergänzende Fähigkeiten bestimmt war. Während Fritz Schupp der künstlerisch begabtere war, zeigte Martin Kremmer seine Fähigkeiten als versierter Techniker und Bauleiter. In der Anfangszeit profitierte die Architektengemeinschaft von dem persönlichen Kontakt zwischen Fritz Schupp und Friedrich Wilhelm Schulze Buxloh, der im Vorstand der Vereinigten Stahlwerke AG für mehrere Bergwerke im Ruhrgebiet zuständig war. Schulze Buxloh verschaffte der Bürogemeinschaft die ersten Industrieaufträge. Schnell spezialisierten sich die jungen Architekten auf Bauten für die Montanindustrie. Zwischen 1922 und 1945 errichteten sie 22 Bergwerke, darunter die Steinkohlenzeche Zollverein Schacht 12 in Essen (1927–1932), das Erzbergwerk Rammelsberg bei Goslar (1935–1939), die Odertalkokerei in Deschowitz (1932–1938) und die Zinkhütte in Harlingerode am Harz (1940). [8]

Zunächst arbeiteten die beiden Architekten bis 1927 noch in reiner Ziegelbauweise. Die Bergwerksanlage auf Zollverein kann als ein wichtiger Wendepunkt in der Ausprägung eines eigenen Baustils betrachtet werden. Bei der Schachtanlage Zollverein entwickelten sie mit der in Frankreich zuerst vorgestellten Stahlfachwerkarchitektur ein eigenständiges Ausdrucksmittel der klassischen Moderne und eine wichtige Variante der Bauhaus-Architektur. Stahlfachwerk passte hervorragend zu den Anforderungen der Industrie und besonders des Bergbaus, war schnell zu montieren, gut zu erweitern oder zu verändern, reagierte flexibel auf Erschütterungen und ließ sich bei Bedarf auch schnell wieder demontieren. Es entsprach gestalterisch mit den sichtbaren Stahlprofilen in der Fassade der Ideenwelt des Konstruktivismus und ließ sich zu eindrucksvollen, kubisch geformten Baumassenkompositionen ausbilden.[9]

Die Trennung in tragende Stahlrahmen und vorgehängte Fassade war im Bergbau schon lange bekannt, wurde von Schupp / Kremmer aber in einer bisher nicht gekannten Konsequenz eingesetzt.

Die Baukörper wurden auf Zollverein auf klare kubische Formen reduziert und  diese Gebäude zu einer harmonisch wirkenden Einheit zusammengestellt. Wie einen roten Faden haben die beiden Architekten durch die Gesamtanlage eine Sichtachse gelegt und auf die symmetrische Verteilung der Gebäude entlang dieser Sichtachse Wert gelegt. Dieses Vorgehen bildete die Grundlage für das gesamte weitere Schaffen Schupp / Kremmers im Industriebau. Aber dieser Architekturstil war für die beiden Architekten nichts anderes, als „die Umhüllung einer weitgehend stützenfreien Arbeitsfläche mit einer leichten Schale, die jederzeit an wechselnde Betriebsbedingungen angepaßt werden konnte.“ [10]  [Diese Hülle, die wie] „eine Schachtel über den Inhalt, die betriebliche Einrichtung, gestülpt“ wird, wurde für sie gleichsam zum gestalterischen Prinzip, zum formalen Mittel in Abhängigkeit von der Funktion. „Der Zweck, rücksichtslos anerkannt und erfaßt, sinngemäß durchgebildet, führt somit zur Architektur, zu einer neuen Architektur, die ihre eigenen Gesetze hat.“[11] Die Stahlfachwerkkonstruktion der Gebäude machte es nur schwer möglich, den ähnlich aussehenden Gebäuden eine Funktion zuzuschreiben. Aber Schupp / Kremmer begriffen ihre Anlagen als Gesamtheit, bei der nicht der Einzelbau, sondern „im Rhythmus der Baukörper und Baumassen der Rhythmus der Funktionen zum Ausdruck kommen soll.“[12] In der „Verarbeitung von modernen und traditionellen Einflüssen und dem daraus entstehenden, in dieser Form neuen und einzigartigen Ergebnis lag das Erfolgsrezept der Architekten, die nach eigener Aussage in einer `Zusammenstellung von neu und alt, von Eigenem und Tradition die Richtung des Kommenden´  sahen.“[13]


Anton Meinholz, Werkstattgebäude und Kesselhaus mit Schornstein der Zeche Zollverein, Essen 1934. [14]

Für die beiden Architekten sollten Industrieanlagen etwas Besonderes im Stadtbild sein. Sie sollten wie andere repräsentative Gebäude ein Teil des Stadtbildes, der Landschaft und der sie umgebenden Umwelt sein. „Wir müssen erkennen, daß die Industrie mit ihren gewaltigen Bauten […] ein Symbol der Arbeit, ein Denkmal der Stadt“[15]  ist.

Obwohl in den 1920er Jahren auf der Suche nach einem Architekturstil, lehnten sie eine Eingliederung ihrer Architektur in schematische Zuordnungen in einem Aufsatz aus dem Jahre 1930 konsequent ab: „So, also jetzt macht man flache Dächer, Eckfenster, Stahlmöbel. Aha, das ist endlich etwas Greifbares. Daran werden wir von jetzt an kontrollieren, wer modern ist.“ [16] Sie machten sich für eine Rückbesinnung auf die gestalterischen Werte als Gegenstand von Architektur stark und verschlossen sich damit nicht grundsätzlich gegenüber traditionellen Architekturstilen. Sie wehrten sich damit gegen den ausgeprägten gestalterischen Minimalismus der Bauhaus-Architekten, die alle Anstrengungen auf die Funktion ausrichteten.[17]

Anlässlich des diesjährigen Bauhausjubiläums nehmen wir zusammen mit Ihnen die besondere Architektur des Rammelsberges in unseren Sonntagsführungen „Zwischen Tradition und Moderne – Die Architektur des Rammelsberges“ einmal genauer unter die Lupe. Termine: 5. Mai, 2. Juni, 7. Juli, 4. August, 1. September, 6. Oktober, 11. November jeweils um 11.00 Uhr


[1] Walter Buschmann: Bauhausmoderne und Industriebau. In: Industriekultur 3.18, S. 12 – 13, S. 12.

[2] Ders., S. 12.

[3] Vgl. Wilhelm Busch: F.Schupp, M. Kremmer. Bergbauarchitektur 1919 – 1974, Köln 1980, S. 36.

[4] Kristina Pegels-Hellwig, Bauten für die Industrie. Der zeichnerische Nachlass der Architekten Fritz

   Schupp und Martin Kremmer 1921 – 1971, Bochum 2012, S. 28.

[5] Bildquelle: Kristina Pegels-Hellwig, Bauten für die Industrie. Der zeichnerische Nachlass der Architekten Fritz

Schupp und Martin Kremmer 1921 – 1971, Bochum 2012, S. 79.

[6] Bildquelle: Kristina Pegels-Hellwig, Bauten für die Industrie. Der zeichnerische Nachlass der Architekten Fritz

Schupp und Martin Kremmer 1921 – 1971, Bochum 2012, S.434.

[7] Vgl. Dies., S. 39ff.

[8] Vgl. Michael Farrenkopf: Eine Großzeche für Oberschlesien – Industrieplanungen der 1940er Jahre im Nachlass der Architekten Fritz Schupp und Martin Kremmer im Bergbau-Archiv Bochum. In: Polski Kongres Górniczy 2007, Fundacja Otwartego Museum techniki Górnictwo w czasie, przestrzeni, kulturze. Red. Stanilawa Januszewskiego. Wroclaw 2007, S. 65 – 82, S. 69.

[9] Buschmann (wie Anm. 1), S. 13; Vgl. auch: Walter Buschmann: bauhaus-moderne und industriebau. In: 100 jahre bauhaus. gestaltung und demokratie. Neubeginn und weichenstellungen in rheinland und westfalen, Düsseldorf 2018, S. 14.

[10] Busch, (wie Anm. 3), S. 81.

[11]  Fritz Schupp, Martin Kremmer: Architekt gegen oder und Ingenieur, Berlin 1929, S. 22.

[12] Pegels-Hellwig (wie Anm. 4), S. 94.

[13] Dies., S. 95.

[14] Bildquelle: Stiftung Zollverein (Hg.) Der Blick der Sachlichkeit. Zeche Zollverein im Spiegel der Fotografie, Essen 2016, S. 39.

[15] Busch (wie Anm. 3), S. 82. 

[16] Zitiert bei: Ders., S. 64.

[17] Wilhelm Busch: Anmerkungen zur Bergbauarchitektur – Ihre Geschichte und Rezeption in den letzten 150 Jahren am Beispiel der Zeche Zollverein. In: Wilhelm Busch, Michael Farrenkopf, Rainer Slotta (Hgg.): Der zeichnerische Nachlass der Architekten Fritz Schupp und Martin Kremmer. Inventar und Bestandskatalog, Bochum 2011, S. 28 – 36, S. 31. 

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