Ein Hauptproblem des Erzbergwerkes Rammelsberg bildete bis Anfang der 1930er Jahre die Aufbereitung der Erze. Die feinkörnige Verwachsung des Erzes mit dem Gestein machte die Anwendung aller bis dahin bekannten Erzaufbereitungsverfahren ineffizient, denn das Erz konnte bei sinkenden Weltmarktpreisen nur unrentabel vom tauben Gestein getrennt werden. Bereits seit Anfang der 1920er Jahre hatte es Versuche mit der sogenannten Schwimmaufbereitung gegeben. Diese Aufbereitungsmethode, auch Flotation genannt, wurde aber erst zehn Jahre später mit Hilfe massiver finanzieller Unterstützung des Erzbergwerkes Rammelsberg durch ein Wirtschaftsförderungsprogramm der nationalsozialistischen Regierung zu industrieller Reife gebracht. Die seit Mai 1933 eingesetzte und dem NS-Regime treu ergebene Betriebsleitung des Erzbergwerkes unter dem Geschäftsführer der Unterharzer Bergwerks- und Hüttenwerke Bergrat Dr. Ing. Paul Ferdinand Hast und dem Betriebsleiter des Erzbergwerkes Rammelsberg Dr. Ing. Hans Hermann v. Scotti wies in der Berliner Reichskanzlei im Kreis hochrangiger Politiker der NSDAP im Juni 1934 auf die Notwendigkeit der geplanten technischen Innovation mit der Einführung einer Schwimmaufbereitung (Flotationsanlage) hin. Nur damit könne die wirtschaftliche Lage des Bergwerks verbessert und der Bedarf an Zink, Blei und Kupfer aus deutschen Erzen ermöglicht werden.[1] Dieses Gespräch war der Beginn einer Entwicklung die ab 1935 mit dem Titel Rammelsbergprojekt umschrieben wurde und neben der Erzförderung den Aufbau einer Zinkhütte in Harlingerode und die Verbesserung der Bleiverhüttung in Oker umfasste. Innerhalb kurzer Zeit wurden 29 Millionen Reichsmark in das Rammelsbergprojekt und in die Modernisierung der Förderung und Verhüttung der Rammelsberger Erze investiert.[2]
Nach einem Bewerbungsschreiben an den Geschäftsführer der Unterharzer Berg- und Hüttenwerke GmbH im Juni 1935 erhielten die Industriearchitekten Fritz Schupp und Martin Kremmer bereits zwei Monate später den Auftrag zum Bau der neuen Gebäude des Erzbergwerkes. Im Harz stellte die umgebende Mittelgebirgslandschaft zunächst die größte Herausforderung für die Architekten dar. Fritz Schupp schrieb dazu rückblickend in der Goslarschen Zeitung vom 7. Juni 1968: „Ganz anders [als bei der Zinkhütte Harlingerode] war es beim Rammelsberg, der fast noch in das Stadtbild von Goslar hineinreicht und in einer Berglandschaft liegt. Wir haben die Verantwortung, in solcher Landschaft ein Industriewerk zu bauen, sehr ernst genommen.“[3] Mit dem Anpassen der Architektur an die umgebende Landschaft lagen die Architekten auf Linie mit führenden nationalsozialistischen Kulturpolitikern. „Das landschaftsgebundene Bauen, das im Dritten Reich propagiert wurde, war aus dem Heimatschutz des frühen 20. Jahrhunderts […] übernommen worden.“[4] Diese Anwendung des landschaftsgebundenen Bauens nahmen Schupp / Kremmer am Erzbergwerk Rammelsberg vor, um die nationalsozialistischen Ansprüchen an Architektur mit ihren Vorstellungen vom Industriebau zu kombinieren.
Der Entwurf der Neubauten sah vor, fast alle bestehenden Gebäudeteile auf dem Gelände des Erzbergwerks, bis auf die Kraftzentrale, einige Werkstattgebäude und das Inspektionsgebäude, abzureißen.[5] Symmetrie und Achse bestimmten das neue Architekturkonzept. Die an den Hang des Rammelsbergs gebaute Erzaufbereitungsanlage wurde entsprechend ihrer Bedeutung für das Betriebsergebnis in den Mittelpunkt der Gesamtanlage gerückt. Ihr vorgelagert und symmetrisch auf sie ausgerichtet wurde ein Vorplatz angelegt, der auch als Aufmarschplatz für Betriebsapelle dienen konnte.
Im gleichen Abstand von der Mittelachse des Platzes und des Aufbereitungsgebäudes rahmen auf der Nord- und der Südseite die Magazin- bzw. Verwaltungsgebäude den Vorplatz ein.
Neben der Ost-West-Sichtachse, die quer durch das Aufbereitungsgebäude über den Vorhof bis ins Eingangsportal verläuft, sind an einer zweiten Nord-Süd-Achse entlang der Werkstrasse die Lohnhalle, die Waschkaue, die Schachthalle mit dem Wagenumlauf, die Brecher, Flotations- und Filteranlagen der Aufbereitung, die Kraftzentrale und die Werkstattgebäude ausgerichtet.
Auch die Wahl der immer gleichen Elemente und Materialien an den verschiedenen Baukörpern der Bergwerksanlage sollten die Geschlossenheit des Gebäudeensembles demonstrieren. Die Kombination der dunklen Holzvertäfelung auf hell verputzten Betonwänden und die Bruchsteinverkleidung der Stützmauern und Erdgeschossbereiche wurde für alle Gebäude angewandt. Die Verwendung der Holzverkleidung und der Einsatz der Bruchsteinverkleidung war eine Anlehnung an traditionelle Bauweisen im Harz, die bei den nationalsozialistischen Geld- und Auftraggebern auf Wohlwollen stieß.[6] Hinter der Außenfassade verbarg sich größtenteils eine ausgemauerte Stahlfachwerkkonstruktion.
Etwas deutlicher werden die Ambitionen des Architektenduos in Bezug auf die Berücksichtigung politischer Belange der nationalsozialistischen Auftraggeber im Eingangsbereich und der Lohnhalle, der heutigen zentralen Eingangshalle des Weltkulturerbes. Der Bergarbeiter näherte sich dem neuen Haupteingang des Verwaltungsgebäudes mit Lohnhalle und Kauengebäude über den Ehrenhof.
Nach dem Durchschreiten des Eingangs gelangte der Bergarbeiter in einen, gemessen an der folgenden Lohnhalle, niedrigen Vorraum. Die niedrige Decke des Vorraums verursacht eine Art Demutshaltung vor dem, was danach kommen sollte. Denn eine breite Steintreppe führte den Bergmann direkt in die hohe Lohnhalle als den zentralen Ort der Lohnverwaltung. Hier wurde von den einzelnen Reviersteigern wöchentlich an verschiedenen Schaltern der Lohn in einer kleinen Tüte an die Bergleute übergeben. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg entwarf insbesondere Alfred Fischer als Element der Bergwerksverwaltung die repräsentative Lohnhalle.
„Meist über zwei oder drei Geschosse hoch, mit aufwendiger Kachelverkleidung im Sockelbereich (gegen den Schmutz der Bergleute) und getäfelten Decken, häufig auch mit einem Umgang im ersten Geschoß, bildeten die Lohnhallen die direkten Kontaktstellen zwischen den Lohn austeilenden Unternehmen und dem Bergmann. Während des täglichen Betriebsablaufs empfingen die Bergleute ihre Dienstanweisungen von den Steigern, die am Rande der Lohnhalle ihre Büros hatten. Am Zahltag füllte sich die Halle und der Kumpel nahm am Schalter seine Lohntüte entgegen. […] Die Art der Lohnausteilung war natürlich auch eine willkommene Gelegenheit für die Unternehmen, dem kleinen Bergmann ihre Größe baulich vor Augen zu führen und ihm dies auch regelmäßig ins Bewußtsein zu rufen.“[7]
Diese Funktionen der Lohnhalle wurden von den nationalsozialistischen Betriebsführern willkommen aufgenommen und mit Attributen ihrer Machtdemonstration ergänzt.
Die Lohnhalle des Erzbergwerkes Rammelsberg wurde von Schupp / Kremmer ebenfalls symmetrisch gestaltet und die imaginäre Mittelachse leitete den Bergarbeiter beim Hinaufsteigen der Treppe zwangsläufig auf das an der Südwand befindliche Wandbild. Sprichwörtlich im Nacken, also über sich an der Nordseite der Lohnhalle, stand über der Eingangstreppe auf einen Sockel die Büste von Adolf Hitler. Sie wurde flankiert von zwei Hakenkreuzfahnen. Bei Festveranstaltungen in der Lohnhalle richteten die Betriebsführer die Blickrichtung mit der Bestuhlung nicht auf das imposante Wandgemälde, sondern auf die Büste Hitlers aus.
Das große Wandbild an der Südseite spielte dagegen beim alltäglichen Durchqueren der Lohnhalle eine wichtige Rolle. Zusammen mit der Hitler-Büste entfalteten die verschieden inszenierten Symboliken bei Schichtbeginn und –ende, eine subtile Beeinflussung. In der Lohnhalle des Rammelsberges manifestierte sich der Wille der Nationalsozialisten, „der Bergarbeiterschaft einen festgefügten Platz in einer vermeintlichen Volksgemeinschaft zuzuweisen und das alte bergmännische Prinzip der Solidarität und gegenseitigen Hilfe durch eine auf dem Führerprinzip basierende rassistische Ideologie zu ersetzen.“[8]
Das monumentale Wandbild Feierabend des Künstlers Karl Reinecke-Altenau unterstützte die DAF bei der Ideologisierung der Belegschaft. Es zeigt den Gang der ausfahrenden Bergleute in die Kaue, das Reinigen des Körpers, das Umkleiden sowie die Heimkehr zur Familie und das Musizieren als Freizeitaktivität. Im Vordergrund des Bildes steht die überlebensgroße Figur eines dankenden Bergmanns, der den Mittelpunkt der gesamten Bildkomposition bildet. „Diese symbolhafte Zentralfigur steht für ein dem Berufsstand des Bergmannes zugesprochenes Bewusstsein tiefster existentieller Verbundenheit mit einer nicht näher definierten überirdischen, Leben spenden Macht.“[9]
Das Bild Feierabend sollte das Ideal einer nicht
nur bei der Arbeit unter Tage, sondern auch nach Feierabend „verschworenen, der
bergmännischen Tradition erwachsenen Arbeits-, Standes- und Schicksalsgemeinschaft
aus körperlich wie charakterlich gleichartigen Kameraden“[10] vorspielen. Eine solche
Kameradschaft wünschte sich das nationalsozialistische Regime als tragendes
Element für den Zusammenhalt in allen Lebensbereichen, von der Jugend-, über die
Schul- und Berufs- bis zur Wehr- und schließlich der Volksgemeinschaft. Dieses
Gemeinschaftsideal sollte blind machen gegenüber der menschenverachtenden,
brutalen Behandlung von Menschen, die sich dieser Ideologisierung widersetzen
oder nicht ins Bild der nationalsozialistischen Weltanschauung passten. Die
Holzbalkendecke und die weiteren rustikalen Elemente der Innenausstattung der
Lohnhalle unterstützen, wie in zahlreichen Versammlungsräumen
nationalsozialistischer Volks- und Gemeinschaftsbauten, diesen mit
traditionellen Stilelementen verknüpften Gemeinschaftsgedanken.
[1] Vgl. Bernhild Vögel: „in die Rohstoffschlacht eingespannt“ Von der drohenden Stilllegung zum Rammelsberg-Projekt. In: R. Roseneck (Hg.): Der Rammelsberg. Tausend Jahre Mensch-Natur-Technik, Goslar 2001, S. 224-237, S. 232.
[2] Vgl. ausführlich zu dieser Problematik: Johannes Großewinkelmann:Erz für Hitlers Wahn – Aspekte nationalsozialistischer Industriepolitik in den Besucherführungen am Weltkulturerbe Rammelsberg. In: Unser Harz, 11 (2016), S. 207–217.
[3]Kristina Pegels-Hellwig: Bauten für die Industrie. Der zeichnerische Nachlass der Architekten Fritz Schupp und Martin Kremmer 1921 – 1971, Bochum 2012,, S. 147.
[4] Dies., S. 147
[5] Fotos aus der Bauphase der Aufbereitungsanlage zeigen, dass der Abriss der alten Gebäude teilweise erst nach dem Aufbau der neuen Gebäude erfolgte. Dadurch konnte der Betrieb des Bergwerks, ohne Unterbrechungen durch die Baustelle, weitergeführt werden.
[6] Vgl. Reinhard Roseneck: Der Rammelsberg. Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen 9, Hannover 1992, S. 31f. Reinhard Roseneck verneint jegliche „heimattümelnden“ Ambitionen in den Entwürfen der Architekten Schupp/Kremmer
[7] Wilhelm Busch: F.Schupp, M. Kremmer. Bergbauarchitektur 1919 – 1974, Köln 1980, S. 40.
[8] Hans-Georg Dettmer: Texte für das Besucherleitsystem, Goslar o.J., o.S. (Unv. Manuskript).
[9] Kai Gurski:“Schönheit der Arbeit „ – Der Künstler Karl Reinecke-Altenau am Rammelsberg, Goslar 2011 S. 64.
[10] Ders., S. 66.
Schreibe einen Kommentar