Museumssammlungen sind das gegenständliche kulturelle Gedächtnis der Menschheit. Es werden in erster Linie Originale gesammelt, weil sich jeder Nachbau, jede Kopie vom ursprünglichen historischen Kontext entfernt und das kollektive Gedächtnis verblassen lässt. Originale, authentische Gebäude und Zustände transportieren bei der Vermittlung mit ihrer Aura den emotionalen Zugang zum inhaltlichen Zusammenhang.
Das Museum dient der Öffentlichkeit
Beim Umgang mit der Sammlung schweben öffentlich geförderte Museen wie das Weltkulturerbe Rammelsberg nicht in einem luftleeren Raum, und Sammlungsziele können nicht beliebige festlegt werden. Es gibt Vorgaben. Eine davon lautet: Ein mit öffentlichen Mitteln gefördertes Museum mit einer Sammlung an einem öffentlichen Aufbewahrungsort ist – worin es sich ganz deutlich einer privaten Sammlung unterscheidet – der Öffentlichkeit verpflichtet. Das verlangt einen nachvollziehbaren, überprüfbaren Umgang mit den Museumsdingen. Deshalb führen wir Zugangsbücher, Inventarlisten, Dokumentationsbögen und arbeiten mit Datenbanken. Der Prozess von der Abgabe eines Objektes an das Museum bis zur Einordnung in das Depotregal muss nachvollziehbar dokumentiert werden.
Gebäude und Inventar als wichtigstes Exponat
Weitere wichtige Vorgaben des Sammelns ergeben sich aus dem Weltkulturerbestatus, den das Erzbergwerk Rammelsberg seit 1992 besitzt. Die abstrakte Leitidee der UNESCO-Welterbekonvention in Bezug auf das Sammeln ist die „Erwägung, dass Teile des Kultur- oder Naturerbes von außergewöhnlicher Bedeutung sind und daher als Bestandteil des Welterbes der ganzen Menschheit erhalten werden müssen“. (Präambel der Welterbekonvention.) Mit der Unterzeichnung der Konvention verpflichten sich die Vertragsstaaten, die innerhalb ihrer Grenzen gelegenen Welterbestätten zu schützen und für zukünftige Generationen zu erhalten.
Daraus resultiert eine wichtige Entscheidung für die Arbeit vor Ort: Die Gebäude und das Inventar in den Gebäudes des Erzbergwerkes Rammelsberg sind mehr als eine Hülle für die Exponate. Sie stehen für sich, sind das wichtigste Exponat des Weltkulturerbes, genau wie die Altstadt von Goslar und die umgebende Kulturlandschaft, in die das ehemalige Erzbergwerk Rammelsberg eingebettet ist. Sie alle sind Bestandteil derselben Geschichte, zu der sie jeweils einen eigenen Zugang bieten: der Geschichte der menschlichen Arbeit als Voraussetzung und Träger von Kultur. Sammlungsobjekte und Originalschauplätze ermöglichen zusammen einen Zugang zu dieser Geschichte des Alltags und der Arbeit am Rammelsberg. Deshalb ist unsere wichtigste Sammlungsaufgabe, die Dinge zu sammeln, die zum Erzbergwerk gehören – und zu den Menschen, die hier gearbeitet haben.
Die Schuhmacherwerkstatt Oberle – die Ausnahme bestätigt die Regel
Die Aufnahme der Schuhmacherwerkstatt Oberle in die Sammlung des Weltkulturerbes Rammelsberg entspricht nicht ganz den o.g. Sammlungsgrundsätzen. Die Schuhmacherwerkstatt Oberle ist kein originales Stück, das zum ehemaligen Erzbergwerk Rammelsberg gehört.
Warum nehmen wir die Werkstatt trotzdem auf? Die Arbeitsstätte des Schuhmachermeisters Oberle war, das sollte in den bisherigen Beiträgen in unserem Blog deutlich geworden sein, von der Gründung 1922 bis zur Schließung 2005 eng mit dem Erzbergwerk und den Rammelsberger Bergleuten verbunden: über das Inventar, mit dem die Schuhmacherfamilie Oberle gearbeitet hat, über den Kreis der Stammkundschaft und nicht zuletzt über die persönliche Verbundenheit des Schuhmachermeisters Dieter Oberle.
Verwaltung des „Museumsgedächtnisses“: Inventarisierte, in Kisten verpackte und eingelagerte Kleinteile aus der Schuhmacherwerkstatt Oberle. Foto: Weltkulturerbe Rammelsberg
Viele der für den täglichen Betrieb des Erzbergwerkes notwendigen Arbeiten, etwa Schlosser- und Holzarbeiten, wurden in eigenständigen Werkstätten vor Ort am Rammelsberg ausgeführt. Für die Bearbeitung der Arbeitsschuhe und vieler Lederteile bestand nur während einer kurzen Zeit direkt nach dem Krieg eine eigene Schuhmacherwerkstatt am Rammelsberg. Dieses Handwerk wurde schon frühzeitig ausgelagert, die Werkstatt Oberle fungierte in der Folge als eine Art Zulieferbetrieb für das Erzbergwerk.
Mit dem drohenden Verlust der Werkstatteinrichtung – sieben Jahre nach dem Tod von Dieter Oberle sollte die Werkstatt ausgeräumt werden – wären wichtige sozial- und alltagsgeschichtliche Zusammenhänge zwischen Bergwerk und städtischer Infrastruktur, insbesondere im Frankenberger Viertel in Goslar, vernichtet worden. Denn mit der Werkstatt übernimmt das Museum nicht nur die Werkzeuge, Materialien und Maschinen. Im Prozess der Inventarisierung und Translozierung der Werkstatteinrichtung konnten, vermittelt über Marion Oberle, historische Verbindungen zwischen der Geschichte der Werkstatt und der Geschichte des Erzbergwerks, vor allem aber die Verbindung zwischen der Lebensgeschichte der Schuhmacherfamilie Oberle und den Lebensgeschichten der Rammelsberger Bergleute recherchiert werden.
Entscheidend ist die Geschichte der Menschen
Die Geschichte des Rammelsberges ist in erster Linie die Geschichte der im Rammelsberger Bergbau tätigen Menschen und deren Familien. Die Sammlungsarbeit ist ein ständiger Versuch, die Arbeit und den Alltag der Menschen anschaulich darzustellen. Deshalb haben wir uns entschlossen, zum ersten Mal eine externe Werkstatteinrichtung komplett in die Sammlung des Weltkulturerbes Rammelsberg zu übernehmen.
Die Übernahme der Schuhmacherwerkstatt zeigt aber nur eine Art des Umgangs und des Zugangs zum Sammlungsgut. In dem Bericht über private Nachlässe aus Bergarbeiterfamilien in unserem Blog haben wir erläutert, wie wir mit Objekten umgehen, die aus dem Erzbergwerk Rammelsberg in private Haushalte von Bergarbeiterfamilien übergegangen waren und nun nach Jahrzehnten wieder an den ursprünglichen Ort zurückkehren.
Diese Objekte sind häufig als Erinnerungsdevotionalien in ihrer technischen Ausführung und äußeren Form verändert worden. Trotzdem sind sie für das Museum sammlungswürdig, weil sie zeigen, wie und durch welche Dinge sich ehemalige Bergarbeiter des Erzbergwerkes ihrer Arbeit erinnern. Auch das gehört zur Arbeit am Gedächtnis des Museums.
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