Fotografien von Albert Renger-Patzsch in der Sammlung des Weltkulturerbes Rammelsberg
Von Dr. Johannes Großewinkelmann
Die in der Überschrift zitierte Erkenntnis von Albert Renger-Patzsch gilt bis heute und hat selbst die unvorstellbare Bilderflut des digitalen Zeitalters überlebt. Neue Perspektiven und Blickwinkel schaffen selbst bei einem überaus beliebten Fotoobjekt, wie den Gebäuden des Weltkulturerbes Erzbergwerk Rammelsberg, immer wieder neue Bilder und fotografische Eindrücke. Dabei gehörte gerade die Architektur zu den ältesten Gegenständen der Fotografie, weil Gebäude stillstanden und sie bei den anfänglich langen Belichtungszeiten keine Verwischungen erzeugten.
In den 1920er Jahren entwickelte die Architekturfotografie mit dem am Bauhaus entwickelten `Neuen Sehen´ eine Stilrichtung, die gekennzeichnet war durch harte Anschnitte, technische Genauigkeit bei der Aufnahme, der Entwicklung und Vergrößerung, starke Auf- und Untersichten, Gegenstandstreue sowie Detailhaftigkeit. Der Blick wurde auf Oberflächen, Strukturen und Formen gelenkt, die Bildfläche erhielt eine strenge Ordnung. Doch das `Neue Sehen´ war nicht nur eine Neuorientierung durch neue Perspektiven und den Umgang mit Licht als Gestaltungsfaktor, sondern auch eine thematische Neuorientierung, weil Industriearchitektur als gleichwertiges Thema neben anderen fotografischen Themen eingeführt wurde.
Unter den Architektur- und Industriefotografen steht der Fotograf Albert Renger Patzsch (1897 – 1966) für das Prinzip des ordnenden Blicks. Albert Renger-Patzsch begann Mitte der 1920er Jahre mit dem Fotografieren von Bauwerken und galt schon nach kurzer Zeit als einer der besten Architekturfotografen in Deutschland. Im Dialog mit der gleichzeitig entwickelten `Neuen Sachlichkeit´ in der Kunst erweiterte Albert Renger-Patzsch den reinen dokumentarischen Blick des Industriebildes um einen künstlerischen Ansatz. Er nutzt den Bildausschnitt zur Gestaltung der Fotografie und bezieht dabei die Aufteilung und die Struktur der Fläche in seine Komposition mit ein.[1]
Zahlreiche Unternehmen und Architekten beauftragten ihn, die von ihnen gebauten bzw. entworfenen Bauwerke zu fotografieren. So entstanden schon in den 1920er Jahren Aufnahmen bedeutender Gebäude der zeitgenössischen Industriearchitektur. Das Archiv von Renger-Patzsch und eine Vielzahl seiner Aufnahmen wurden aber 1944 bei einem Wasserschaden im Folkwang-Museum zerstört.
„Da ich nur mit meinem Freund Renger-Patzsch arbeite“[2] – Der Auftrag zur Fotografie der Architektur
Mit der Arbeitsweise von Renger-Patzsch, die ganz wesentlich auf einer Analyse und Komposition der fotografierten Objekte basiert, nimmt er Bezug auf die am Bauhaus propagierte Idee, dass funktionell auch ästhetisch sei. Seine Bildkomposition passte sich nahtlos in Vorstellungen der beiden Industriebaumeister Fritz Schupp und Martin Kremmer ein, die ab Mitte der 1930er Jahre die Architektur der Gebäude des Erzbergwerks Rammelsberg grundlegend neu gestalteten.[3] Sowohl Fotograf als auch Industriearchitekten wollten Anlagen und Maschinen in ihrer Funktion und in ihrer zweckmäßigen Aufstellung sichtbar vorstellen.
Die Entscheidung von Fritz Schupp und Martin Kremmer für den Fotografen Renger-Patzsch basierte sicherlich weniger auf seiner Popularität, die er ab 1928 durch die Veröffentlichung zahlreicher Fotobände erreicht hatte. Aber in diesen Fotobüchern zeigte Renger-Patzsch moderne Industriearchitektur neben historischen Kirchen und älteren Bürgerhäusern und traf damit einen wichtigen Punkt in der Einstellung zum Umgang mit traditioneller und moderner Architektur. 1929 stellten Schupp / Kremmer in ihrer Veröffentlichung `Architekt gegen oder und Ingenieur´ fest: „Wir müssen erkennen, daß die Industrie mit ihren gewaltigen Bauten nicht mehr ein störendes Glied in unserem Stadtbild und in der Landschaft ist, sondern ein Symbol der Arbeit, ein Denkmal der Stadt, das jeder Bürger mit wenigstens ebenso großem Stolz dem Fremden zeigen soll, wie seine öffentlichen Gebäude.“[4]
Außerdem waren 1928 und 1930 zwei Bücher mit Fotographien von Albert Renger-Patzsch erschienen, die sich mit Industrie und Technik als Paradigmen der architektonischen Moderne auseinandersetzten. „Die sachliche Formensprache der beiden Architekten fand ihre Entsprechung in den Fotografien Renger-Patzschs …“[5]
Im Nationalsozialismus stellt Renger-Patzsch weiter aus, veröffentlichte Bücher und nahm zahlreiche Industrieaufträge an. Für die Organisation Todt fotografierte er 1943/44 den Atlantikwall in Frankreich. Er war kein NSDAP-Mitglied, deshalb war es wohl seine Ästhetik der Zeitlosigkeit, die es ermöglichte, dass er auch in den Jahren 1933 bis 1945 weiter fotografieren konnte, während anderen Vertretern des Neuen Sehens und der Neuen Sachlichkeit – meist unter den Vorwürfen des `Kulturbolschewismus´ und der `Entartung´- Berufsverbot erteilt wurde oder sie Deutschland verlassen mussten.[6]
In den 1950er Jahren ließ Fritz Schupp[7] die Tagesanlagen des Erzbergwerks Rammelsberg erneut von Renger-Patzsch fotografieren, um die 1944 zerstörten Fotografien zu ersetzen. Gefragt nach Erwartungshaltungen des Architekten gegenüber den Fotografen sowie nach Details ihrer Zusammenarbeit antwortete Fritz Schupp 1955 der Fotofachzeitschrift `Großbild-Technik´: „Da ich nur mit meinem Freund Renger-Patzsch arbeite, überlasse ich ihm die Wahl des Standpunktes ganz.“[8] Doch der Architekt machte zwei Vorgaben: „Farbphotographien lehnte er vorerst ab und als Staffage komme höchstens ein Mensch – als Maßstab in Frage.“[9]
Das Projekt „BilderWechsel“: Architekturfotografie von Albert Renger-Patzsch und Stefan Sobotta
Das Weltkulturerbe Rammelsberg konnte mit Fördermitteln des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur 2019 einige Fotoaufnahmen von Albert Renger Patzsch vom Erzbergwerk Rammelsberg ankaufen. Der Fotograf Stefan Sobotta hat daraufhin ein Projekt mit dem Titel „BilderWechsel“ initiiert und im letzten Jahr an denselben Orten dieselben Fotografien gemacht wie Albert Renger-Patzsch. In einer kleinen Ausstellung wurden die Bilder von 1953 und 2020 nebeneinander gehängt. Die Orte werden dadurch von zwei Fotografen zu verschiedenen Zeiten erzählt. Es ist nur ein kurzer Ausschnitt der Zeit, ein konservierter Augenblick, der in einer Fotografie erscheint. Das historische Foto von 1953 und das aktuellere Foto von 2020 stehen für sich, doch zusammen erzählen sie im Vergleich eine Geschichte von der Veränderung.[10]
Dieses Erlebnis kann mit moderner Technik noch unmittelbarer vermittelt werden. Am Tag des offenen Denkmals 2020 wurden auf Führungen über das Gelände des Bergwerks auf Tabletts die historischen Fotografien von Albert Renger-Patzsch und die aktuellen Fotografien von Stefan Sobotta übereinander gelegt und konnten dadurch direkt miteinander verglichen werden. Zusätzliche historische Informationen machen den BilderWechsel zu einer lebendigen Geschichte. BilderWechsel schaut hinter die Mauern der gegenwärtigen Ansicht und trägt zum Verständnis des authentischen Ortes bei.
Das Fotoprojekt „BilderWechsel“ wird im Januar 2021 auf der Homepage des Weltkulturerbes Rammelsberg (www.rammelsberg.de) eingestellt. Und ab Mai 2021 wird es auf der Grundlage dieses Fotoprojektes einmal im Monat bis zum September 2021 einen „Architektur-Spaziergang“ über das Gelände am Rammelsberg geben, natürlich nur, wenn die Bestimmungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie bis dahin wieder öffentliche Führungen zulassen.
[1] Vgl zur Fotografie von Albert Renger-Patzsch den Ausstellungskatalog: Heinrich Theodor Grütter (Hg.), Erich Grisar: Ruhrgebietsfotografien 1928-1933, Essen 2016.
[2]Zitiert in: Rolf Sachsse, Bauvolumina und Schlagschatten. Moderne Industriearchitektur und Photographie. In: Wilhelm Busch und Thorsten Scheer (Hg.), Symmetrie und Symbol. Die Industriearchitektur von Fritz Schupp und Martin Kremmer, Köln 2002, S. 195 – 204, S. 197.
[3] Vgl. https://blog.rammelsberg.de/2019/07/fritz-schupp-und-martin-kremmer-die-architekten-der-tagesanlagen-des-erzbergwerkes-rammelsberg-und-die-entwicklung-der-moderne-in-der-industriearchitektur-1918-1933/
[4] Fritz Schupp, Martin Kremmer, Architekt gegen oder und Ingenieur, Berlin 1929, S. 68.
[5] Stefanie Grebe, Präzise, zeitlos und gegenstandsbezogen. Albert Renger-Patzschs fotografische Arbeiten im Ruhrgebiet. In: Stefanie Grebe, Heinrich Theodor Grütter (Hg.), Renger-Patzsch. Die Ruhrgebietsfotografien, Köln 2018, S. 14 – 35, S. 14.
[6] Vgl. ebda., S. 18.
[7] Martin Kremmer war 1945 bei einem Bombenangriff auf Berlin getötet worden.
[8] Zitiert in: Rolf Sachsse, Bauvolumina und Schlagschatten. Moderne Industriearchitektur und Photographie. In: Wilhelm Busch und Thorsten Scheer (Hg.), Symmetrie und Symbol. Die Industriearchitektur von Fritz Schupp und Martin Kremmer, Köln 2002, S. 195 – 204, S. 197..
[9] Ebd.
[10] Vgl. Texte von Stefan Sobotta auf der Seite „BilderWechsel“, die im Januar 2021 auf der Homepage des Weltkulturerbes Rammelsberg (www.rammelsberg.de) veröffentlicht wird.
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