Lange Zeit bevorzugten Geschichtswissenschaft und Museen in Deutschland eine Darstellung der historischen Ereignisse aus der Perspektive großer historischer Persönlichkeiten. Geschichte wurde aus Sicht der Männer und Frauen erzählt, die „Geschichte gemacht“ hatten. Alle übrigen, die nicht im Rampenlicht der Ereignisse standen, blieben in Büchern und Ausstellungen im Dunkeln.
Diese einseitige Betrachtung der historischen Ereignisse galt auch für die deutschen Technikmuseen. Die Erfindungen und Erfinder, die Maschinen und technischen Entwicklungen der Ingenieure standen im Mittelpunkt der Ausstellungen. Dass Menschen mit den Maschinen arbeiteten und dass die technische Entwicklung tiefgreifende Veränderungen der Lebens- und Arbeitswelt für Arbeiterinnen und Arbeiter verursachte, rückte erst sehr spät ins Blickfeld der Museumswissenschaftler.
Geschichte von unten
Eine Neubewertung darüber, wie viel Anteil die arbeitenden Menschen am Verlauf der historischen Ereignisse hatten, führte seit den 1970er Jahren zu einer Bewegung der „Geschichte von unten“, mit der Folge, dass verstärkt alltags- und sozialgeschichtliche Zusammenhänge Eingang in technikhistorische Ausstellungen und die neu geschaffenen Industriemuseen fanden. Eine solche Veränderung der Ausstellungsperspektive setzte andere Formen des Sammelns und Bewahrens voraus.
Neben vielen neu eroberten Sammelgebieten vor allem der Industriemuseen war der verstärkte Blick in private Nachlässe sicherlich ein wichtiger Schritt, um dem Alltag und die Lebenswirklichkeit „ganz normaler Menschen“ als wichtigen Teil historischer Ereignisse ausstellen zu können. Doch der Zugang zu privaten Nachlässen setzt eine gewisse Vertrauensbasis voraus. Menschen die einem Museum den Zugang zu ihren persönlichen Dingen und Dokumenten eröffnen, müssen das Vertrauen in diese Institution haben, dass ihren Dingen der notwendige Respekt und ein sensibler Umgang entgegengebracht werden. Eine solche Vertrauensbasis erfordert Transparenz und Kommunikation.
Privates aus der Lebens- und Arbeitswelt
Am Weltkulturerbe Rammelsberg haben insbesondere die seit einigen Jahren organisierten Ehemaligentreffen dieses Vertrauen geschaffen und ehemalige Mitarbeiter des Erzbergwerks Rammelsberg oder ihre Hinterbliebenen bringen ganz bewusst private Dinge aus der vergangenen Lebens- und Arbeitswelt wieder „an den Berg“. Es geht um das Sammeln und Bewahren eines Stücks Lebensgeschichte, die in vielen Fällen über Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte, eng mit der Betriebsgeschichte des Erzbergwerks Rammelsberg verwoben war.
Doch was befindet sich in solchen privaten Nachlässen ? Überwiegend ist die Zusammensetzung der Nachlässe abhängig von der früheren Funktion ihres Besitzers am Erzbergwerk Rammelsberg. Nachlässe der Bergleute enthalten meistens Erz- und Mineralienfunde aus dem Rammelsberg, Medaillen, bergmännische Volkskunst, Gezähe und seltener persönliche Werkzeuge und Arbeitskleidung. Leitende Angestellte und Steiger geben häufig ihre privat erworbene Fachliteratur und Unterlagen zu ihrem Fachgebiet ab.
Vertrauen ist die Basis
Zur Abgabe persönlicher Dokumente, Zeugnisse und Briefwechsel aus privaten Nachlässen bedarf es verständlicherweise schon eines tieferen Vertrauens zum Museum. Private Fotos von der Arbeitswelt sind meistens nur sehr spärlich vorhanden. Natürlich gehören auch Dinge aus der Hobby- und Freizeitwelt zum privaten Nachlass. Doch damit werden die Grenzen des Sammelns und Bewahrens von Lebens- und Alltagsgeschichte im Museum schnell deutlich. Sollen Dinge zum Zusammenhang von Lebens- und Betriebsgeschichte oder sollen die Lebensgeschichten der Menschen, die am Rammelsberg gearbeitet haben, gesammelt werden? Eine Frage, die nicht pauschal, sondern von Fall zu Fall beantwortet werden muss.
Die Sammlung des Weltkulturerbes Rammelsberg ist also nicht nur ein Ort, an dem tote Dinge und staubige Dokumente aufbewahrt werden. Die Sammlung bewahrt ganz lebendige Erinnerungen an Lebensgeschichten der Menschen, die vor Ort ihr halbes Leben, und manchmal noch viel mehr, verbracht haben. Um diese Lebensgeschichten zu sammeln und zu bewahren, ist die Kommunikation über „das normale Leben“ bei der Übernahme privater Nachlässe von großer Bedeutung. So nah an Menschen und ihre Geschichte heran zu kommen, ist jedes Mal ein bewegendes Ereignis. „Die Sammlung lebt“ – kann man in solchen Momenten sagen.
[…] Schuhmacherwerkstatt zeigt aber nur eine Art des Umgangs und des Zugangs zum Sammlungsgut. In dem Bericht über private Nachlässe aus Bergarbeiterfamilien in unserem Blog haben wir erläutert, wie wir mit Objekten umgehen, die aus dem Erzbergwerk […]