Im Verkaufsraum der Schuhmacherwerkstatt Oberle hing ein besonders schmuckvoller Meisterbrief an der Wand, der einem sofort ins Auge fiel. Es war der Meisterbrief des verstorbenen Gottfried Oberle, dem Vater des letzten Schuhmachers Dieter Oberle. (Abb. Meisterbrief Gottfried Oberle)
Ausgestellt worden war er von der Handwerkskammer zu Hildesheim am 22. März 1934 in Goslar, unterschrieben vom Vorsitzenden der Meisterprüfungskommission für das Schuhmacherhandwerk Rudolf Müller und vier Prüfungsbeisitzenden. Bei diesem Meisterbrief handelte es sich um einen Druck für die Handelskammer Hildesheim, bei dem handschriftlich nur noch Name, Geburtsdatum und –ort des jeweiligen Prüflings, sowie das betreffende Handwerk, in dem die Meisterprüfung abgelegt wurde, und das Datum der Erlangung der Meisterwürde eingetragen werden musste, der übrige Text war vorgegeben. Die neben dem Text befindliche Graphik geht in ihrem Inhalt auf die Traditionen der Zünfte ein. Sie zeigt einen Zunftmeister vor einem prächtig geschnitzten Gestühl. Mit der linken Hand deutet er auf die geöffnete Zunftlade, die auf einem kleinen Tisch präsentiert wird. Auf seiner rechten Seite steht ein Gehilfe, der dem Zunftmeister ein Dokument, an dem ein Siegel befestigt ist, reicht. Im Vordergrund der Graphik ist ein größerer Tisch zu sehen, auf dem das aufgeschlagene Zunftbuch liegt, umrahmt von Siegelstempel, Feder und Tintenfässchen sowie dem Zunftpokal. Seit dem Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert schlossen sich Handwerker und somit auch Schuhmacher in Zünften zusammen. In die Zunft aufgenommen werden konnte nur derjenige, der die Meisterprüfung bestanden hatte. Wichtige Zusammenkünfte, wie z.B. bei der Freisprechung der Lehrlinge (d.h. Abschluss der Lehre) oder der Erlangung der Meisterwürde, fanden bei geöffneter Lade statt. Hier wurden u. a. die entsprechenden Urkunden aufbewahrt.
Die Handwerkskammer konnte diesen „Vordruck“ für Meisterbriefe verschiedener Handwerksberufe einsetzen, im Freilichtmuseum Kiekeberg findet man beispielsweise das gleiche Exemplar, ausgestellt für einen Drechslermeister.
Neben der in Hildesheim verwendeten auch andere Handwerkskammern, wie z.B. die in Hannover und in Harburg, im 1. Drittel des 20. Jahrhunderts dieses kunstvolle Formular. Es stammte von J. C. König & Ebhardt, einer bekannten Druckerei aus Hannover, worauf ein kleiner Schriftzug am unteren Bildrand hinweist.
Der Kunstdruck ist nicht das eigentliche rechtsgültige Meisterzeugnis, sondern ein repräsentatives Exemplar, zur öffentlichen Demonstration in den jeweiligen Geschäftsräumen vorgesehen.
Der Meisterbrief wird in unserer Sonderausstellung „83 Jahre im Dienst der Bergleute – JETZT im Museum. Die Geschichte der Schuhmacherwerkstatt Oberle“ vom 08.09.13 bis 16.02.14 zu sehen sein.
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